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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 45.1919-1920

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Michel, Wilhelm: Auguste Renoir
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https://doi.org/10.11588/diglit.9121#0349

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Auguste Renoir f.

schieben. Nach den unvermeidlichen Jahren
des Kampfes ein glänzender Aufstieg bei allen,
durchdringende Wirkung, Ruhm und in den
meisten Fällen auch materielles Gedeihen.
Claude Monet, Edgar Degas, Alfred Sisley,
Camille Pissarro haben es alle zum biblischen
Alter, die meisten noch weit darüber hinaus
gebracht. Man kann nicht sagen, daß in ihrer
Kraft etwas unausgelebt geblieben wäre. Sie
haben eine ganze Welt erfreut, beglückt, ge-
leitet, haben ihren Ruhm erlebt, sind wichtig
geblieben bis an die Schwelle greisenhafter
Erstarrung. —

Verdichtet gilt das alles für Auguste Renoir,
der nun 78 jährig gestorben ist. Ein herrliches,
gesegnetes Leben, trotz aller programmatischen
Schmähungen, die neuere Kunstwendungen auf
impressionistische Weltdeutung geworfen haben
und die sich vor Renoirs Höchstleistungen wie
bare Einfaltspinseleien lesen, wenn man ihnen
das Unrecht antut, sie buchstäblich zu nehmen.
Mögen die Epochen ein Recht haben, sich
kämpferisch gegen ihre Vorgänger abzusetzen,
so gilt das doch immer nur gegen das Lederne,
Begriffliche, Tote an diesen. Es gilt gegen ihren
Anspruch fortdauernder Zeitwichtigkeit, es gilt
vor allem gegen die Mit- und Nachläufer. Das
Werk aber, das sich aus ihnen emporhob in
das Bereich der Dauer, bleibt unangreifbar,
burghaft gesichert.

Es ist eine banausische Herabwürdigung Re-
noirs, ihn etwa als delikaten Fleischmaler oder
als einen feinschmeckerischen Deuter der sinn-
lichen Köstlichkeiten der Erscheinung einzu-
reihen. Selbst die Registrierung „Impressio-
nist" steht krüppelhaft und hämisch neben der
inneren Uferlosigkeit, der strahlenden Himmels-
bläue, der seligen Weltverlorenheit seines Wer-
kes. Man hat von Renoir nichts begriffen, wenn
man die tiefe, wunderbar durchleuchtete Welt-
frömmigkeit seines Geistes nicht erfaßt hat.
Gerade wir von unserm deutschen Standpunkt
aus haben Ursache, staunend zu stehen vor
dieser namenlosen gallischen Weltliebe, die
einschmilzt in Reiz und Wollust der Oberfläche
und sich zuletzt warm am Herzen der Schöp-
fung birgt. Nichts von Begriff, nichts von Formel
bindet dieses Atmen und Fluten unbenannten
Gefühls. Erotik, ja. Aber Erotik, die Form
und Werk und Anbetung geworden ist ohne
Spur eines trüben Restes. Vollkommene roma-

nische Heiligung des Triebes, der Sinnlichkeit,
so daß dieser geberdenlos - enthusiastische
Adorant des Sinnlichen schließlich zu einer see-
lischen Klarheit durchdringt, die andere Fromme
nur auf dem Weg der Askese erreichen konnten.
Die schöne, süße, strahlende Welt blickt aus
den tierhaft-frommen Augen seiner nackten
Frauen, himmlisch gelassen, unverbüllt, mit der
unzerstörbaren Unschuld der Natur. Sie kleidet
sich in unerhörten Reiz der Farbe, sie enthält
ganz die Köstlichkeit der gallischen Frau, sie
ist Verlockung höchsten Grades; aber im letzten
Grunde wird sie von einer Heiligkeit um-
schleiert, in der Reiz, Wollust, Verlockung alles
Buchstäbliche verlieren; ein unsagbar zartes
Zurückweichen ins Unbetretbare vollzieht sich,
eine letzte Keuschheit wird fühlbar, von der
viele neuere Maler, die programmgemäß die
Malerei des Nackten verwerfen, nie etwas ge-
spürt haben. Diese eine Geberde des Zurück-
tretens in die sieben Schleier ist für meinen
Begriff von diesem Maler der Entschleierung
bestimmend. Sie bedeutet keineswegs etwas
bloß Ethisches. Sie ist auch das Zurückweichen
vor dem Begriff in die Namenlosigkeit der
Form; vor der Buchstäblickheit impressio-
nistischer Oberflächenschilderung in die religiöse
Sphäre; vor dem Rausch in eine durchdringende,
himmlische Klarheit.

Die Frage nach dem Geist wird heute in der
Malerei auf härtere, germanische Weise gestellt.
Dualismus ist heftig eingebrochen in die Be-
zirke der Kunst. Ein feuriger und nicht sehr
milder Gott ist uns erwacht, der uns der Natur
gegenüber in Schuldgefühle stürzt, in Gefühle
des Mißtrauens und schroffer Getrenntheit.
Der Geist führt Krieg, er wütet um Selbstbe-
sinnung, er sprengt Felsen und ist eine unge-
heure Aktivität geworden. Aus dieser Welt-
stunde, die über uns ist und gewiß das höchste
Recht für sich hat, blicken wir — vielleicht
darf so etwas doch schon gesagt werden — in
die Welt Renoirs zurück wie in ein unzugäng-
lich gewordenes Paradies. . . . wilhelm michel.
A

Ich habe das äußerste Elend kennen gelernt.
Das ist nichts, oder beinahe nichts. Man
gewöhnt sich daran und kraft des Willens
kommt man so weit, darüber zu lachen. Aber
was schrecklich ist, das ist, am Arbeiten ver-
hindert zu werden............. gauguin.

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