I.OTTK PRITZEL-
MÜNCHEN.
» DETAIL EINER
liUDDHA-FIGUR«
LOTTE PRITZEL-MÜNCHEN.
Uber Lolte Pritzels Kunst urteilen ist schwe-
rer als diese Kunst zu lieben. Ihre Schöp-
fungen bilden in dem künstlerischen Hin und
Her unserer Tage eine der wenigen Inseln, auf
der mit seltener Einmütigkeit die verhadertsten
Elemente sich friedlich treffen; es ist an ihnen
das Wesentliche, daß sie nicht zu Lob und
Tadel, sondern nur zu Freude anregen. Dem
Eigentlichsten und Besten, das ein Mensch
einem anderen geben kann. Das kommt daher,
daß diese Gebilde durch die Besonderheit ihrer
Mittel sowohl dem modischen Kunstgezänk ent-
rückt, andererseits kein Kunstgewerbe sind.
Viel Pracht, viel Lebensfreude, viel Unbeküm-
mertheit, Liebe und Zärtlichkeit steckt darin.
So viel wie in unserer Zeit wohl selten ein
Mensch zu geben vermag.
Eine künstlerische Gebundenheit, eine Ver-
pflichtung an irgend eine Zeit, einen Stil, einen
Menschen, oder an eine Schule besteht nicht.
Eine Welt die auf einer sonnigen Gartenbank
erträumt wurde und lieber um eines Seiden-
fetzens als der Kunst wegen ihre Anfänge fand
und trotzdem in ihrer Welt von Chiffon und
Glasperlen die seltsamsten Anknüpfungen und
Erinnerungen wachruft, ohne jedoch dabei je
die Lockerkeit zu verlieren, mit der etwa ein
Schmetterling eine Blüte berührt.
Die Sachen sind absichtslos erwachsen aus
Überfluß und Wohlbefinden; sie sind nicht „ge-
mußt" ! Schöpfungen des Reichtums eines
Menschen, der sich in dieser, trotz expressio-
nistischer Gewaltkuren an Ausdruck grenzenlos
armen Zeit den Duft und die Freude der Mittel
und die Möglichkeit der Sprache erhielt.
Der Anfang war keine Zeichenschule, son-
dern eine Bastelei aus Kastanien im Luxenburg-
Garten, später waren es Stoffhülsen mit Wachs-
köpfen, Spielpuppen mit beweglichen Gliedern,
zarte Maskeraden und tieftraurige Aventuren
im Liebesleben blasser Pierrots und parfümier-
ter Kolombinen. Heute sind diese Menschlein
in ihrem Organismus so kompliziert geworden,
daß sie sich nicht mehr bewegen dürfen; sie
sind gestärkt und gefestigt, wie jede Falte und
Verästelung ihrer Garderobe. So stehen sie
heute vor uns geplustert und gepudert wie
seltsame Insekten und wecken Erinnerungen
XXIII. März 1920 3a
MÜNCHEN.
» DETAIL EINER
liUDDHA-FIGUR«
LOTTE PRITZEL-MÜNCHEN.
Uber Lolte Pritzels Kunst urteilen ist schwe-
rer als diese Kunst zu lieben. Ihre Schöp-
fungen bilden in dem künstlerischen Hin und
Her unserer Tage eine der wenigen Inseln, auf
der mit seltener Einmütigkeit die verhadertsten
Elemente sich friedlich treffen; es ist an ihnen
das Wesentliche, daß sie nicht zu Lob und
Tadel, sondern nur zu Freude anregen. Dem
Eigentlichsten und Besten, das ein Mensch
einem anderen geben kann. Das kommt daher,
daß diese Gebilde durch die Besonderheit ihrer
Mittel sowohl dem modischen Kunstgezänk ent-
rückt, andererseits kein Kunstgewerbe sind.
Viel Pracht, viel Lebensfreude, viel Unbeküm-
mertheit, Liebe und Zärtlichkeit steckt darin.
So viel wie in unserer Zeit wohl selten ein
Mensch zu geben vermag.
Eine künstlerische Gebundenheit, eine Ver-
pflichtung an irgend eine Zeit, einen Stil, einen
Menschen, oder an eine Schule besteht nicht.
Eine Welt die auf einer sonnigen Gartenbank
erträumt wurde und lieber um eines Seiden-
fetzens als der Kunst wegen ihre Anfänge fand
und trotzdem in ihrer Welt von Chiffon und
Glasperlen die seltsamsten Anknüpfungen und
Erinnerungen wachruft, ohne jedoch dabei je
die Lockerkeit zu verlieren, mit der etwa ein
Schmetterling eine Blüte berührt.
Die Sachen sind absichtslos erwachsen aus
Überfluß und Wohlbefinden; sie sind nicht „ge-
mußt" ! Schöpfungen des Reichtums eines
Menschen, der sich in dieser, trotz expressio-
nistischer Gewaltkuren an Ausdruck grenzenlos
armen Zeit den Duft und die Freude der Mittel
und die Möglichkeit der Sprache erhielt.
Der Anfang war keine Zeichenschule, son-
dern eine Bastelei aus Kastanien im Luxenburg-
Garten, später waren es Stoffhülsen mit Wachs-
köpfen, Spielpuppen mit beweglichen Gliedern,
zarte Maskeraden und tieftraurige Aventuren
im Liebesleben blasser Pierrots und parfümier-
ter Kolombinen. Heute sind diese Menschlein
in ihrem Organismus so kompliziert geworden,
daß sie sich nicht mehr bewegen dürfen; sie
sind gestärkt und gefestigt, wie jede Falte und
Verästelung ihrer Garderobe. So stehen sie
heute vor uns geplustert und gepudert wie
seltsame Insekten und wecken Erinnerungen
XXIII. März 1920 3a