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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Utitz, Emil: Gibt es für den Künstler verbindliche Gesetze der Farbenwahl?
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Corwegh, Robert: Von Blumen und ihren Gefässen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0357

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Gibt es für den Künstler verbindliche Gesetze der Farbenwahl?

niemals rechnend konstruiert werden, denn
seine Einzigartigkeit erhält das Kunstwerk durch
die originäre Kraft des Künstlers. Und ohne
diese Individualisierung fehlte ihm die Legitimität
die Berechtigung seines Seins. Wert hat hier
allein das Schöpferische, mag es sich mani-
festieren in der tändelnden Anmut eines heiteren
Ornaments oder in der hinreißenden Gewalt
eines erhabenen Werkes. Aufgabe der Wissen-
schaft wird es sein, die Besonderheit der ein-
zelnen Typen klar hervorzuheben auf dem
Wege zum Verstehen der Kunst, und selbst
dieser Weg ist anerkanntermaßen recht unsicher
und gewiß schwierig und mühselig.

Meine Absicht ist es nicht, jenen Weg hier
weiter zu verfolgen. Nur eine ganz allgemeine
Bemerkung will ich mir noch zum Abschluß
gestatten. „Organisation" ist das große Schlag-
wort unserer Zeit, wenn auch Stimmen sich
dagegen erheben und der Widerstand sich
versteift. Durch wissenschaftliche Organisation
möchte man am liebsten alles regeln und ordnen.
Ihre Gegensätze sind individuelle Anarchie und
individuelle Freiheit. Die reine Anarchie werden

nur wenige als Selbstzweck befürworten; aber
es gilt, die Organisation eben in die Grenzen
zu bringen, jenseits derer eine Rationalisierung
nur Unglück bringen muß. Kunsterziehung und
vor allem Kunsttätigkeit entziehen sich in weitem
Umfang einer strengen Planwirtschaft. Wird
mit ihr Ernst gemacht, bleiben nur Trivialitäten
übrig: verstaubte, lebensunfähige Kunstschulen.
Wer nicht unbedingte Achtung und Demut vor
allem Organischen, Werdenden, Wachsenden
hat, soll dem Amte der Erziehung und besonders
dem Kreise der Kunst fernbleiben. Der von
jenem Geist Beseelte wird wie ein vorsichtiger
Gärtner sein, der gewiß nicht mit müßigen Hän-
den tatenlos beiseite steht, der selbst vor
schweren Eingriffen in die Schicksale seiner
Schutzbefohlenen nicht zurückscheut, der aber
letztlich doch vertrauen muß auf Sonnenschein
und Regen. Denn mit Treibhaus und künstlicher
Bewässerung allein läßt sich nicht alles machen.
Wer in der Kunst zuviel organisiert, steht bald
vor einem Toten. Kunstwissen, Kunstüberbil-
dung, Kunstbürokral ismus, das ist das blasse
Scheinleben, das er um sich zaubert......u.

VON BLUMEN UND IHREN GEFÄSSEN.

VON DR. ROBERT CORWEGH.

Wir lieben in Europa die Blumen; und doch
wissen nur wenige etwas um die Blu-
men. Damit meine ich nicht das Naturwissen-
schaftliche, ihre Eingliederung in irgend ein
System, sondern uns fehlt der Sinn für jedes
Eingehen in die Eigenart der einzelnen Blüte.
Mit Armen voll Blumen geht die europäische
Frau vom Blumenmarkt der Riviera, in Florenz
oder in Genf. Auch im Heim werden sie eng
nebeneinander in Vasen gedrängt, und es zeugt
schon von mehr als üblicher Geschmacksbil-
dung, wenn auf die Zusammenstellung und den
Farbenklang verschiedenartiger Blüten geachtet
wird. Wir Europäer träumen in die Natur
hinein, genießen sie mit dem Auge des For-
schers, der im einzelnen sich verliert, oder
freuen uns als Impressionist an den farbigen
Flecken. Nie fühlen wir uns selbst inmitten der
Natur, spüren das Wesenhafte der Pflanze nach.
' ' Was uns fehlt, erkennt man, wenn man den
Japaner in seinem Verhältnis zu den Pflanzen
oder überhaupt zur Natur beobachtet hat. Die
Natur ist in Japan auf den Menschen abge-
stimmt, weil nirgends der Mensch sich so stark
als Natur empfindet. Dem Japaner genügt ein
Blütenstengel in einer passenden Vase, den
Gedanken einer Jahreszeit zu verkörpern; was
würde er zu unseren Blumenvasen sagen? Wir
haben Gefäße mit großen Rosenmustern und

stellen Herbstblumen, Astern, hinein. Wir haben
allerlei Vasen, schöne Gefäße an sich, von be-
deutendem Selbstwert. Aber gerade dieser
Eigenwert raubt ihnen den Charakter als Blu-
menbehältnis. Ihre Farbe drängt sich vor. Der
Japaner liebt schlichte einfarbige Gefäße, auch
sie umspinnt er noch mit braunem Rohr und
drängt ihre Form und Farbe damit zurück. Ihm
genügt ein Blütenzweig, weil er sich in ihn
hineinfühlt und in ihm die Natur in ihrer Ganz-
heit empfindet. Wir sind keine Asiaten, können
uns nicht gleich ihnen zur Natur stellen. Aber
mehr Sinn für den Wert der Blüte, mit der wir
unsere Wohnungen beleben, sollten wir haben.
Wenn wir geschmackvolle Blumenläden in Groß-
städten betrachten, überall herrscht noch heut
die japanische Blumenvase in ihrem schlichten
Gelb, Rot oder Blau. Oder wir freuen uns an
Chrysanthemen in den dunklen japanischen
Körben. Warum hat unsere große keramische
Industrie sich noch nicht dem Problem zuge-
wendet? Bei uns will die Vase an sich Wert
besitzen. Aber ihre Form als Gefäß mit einer
kenntlichen Bestimmung verhindert diesen Ei-
genwert von vornherein, und ihre Selbständig-
keit steht stets in Widerspruch mit den Blumen
in ihr. Eine Vase soll als dienendes Glied in
Form und Schmuck erdacht sein, erst durch die
Blumen ihre Vollendung erlangen, aber mit
 
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