Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 49.1921-1922

DOI Artikel:
25 Jahre "Deutsche Kunst und Dekoration"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9142#0018

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Lebens und sie mit allen Mitteln in dasselbe hineinzuziehen. Dag Kunst eine Frucht
des Lebens ist, dag sie umgekehrt wieder das Leben gestalten und schmücken muß, daß sie
Anteil nehmen soll an der Verschönerung des Heims, der Kleidung, an der Erziehung
der Jugend, an der Bildung der Hohen und Niederen, dag sie in die Familie gehört, ins
Büro, in die Arbeitsstätte, auf den Marktplatj, auf die Theaterszenen, auf das Tanzpodium,
in die Schulen und Kirchen — diese Gedanken lagen dem Geschlecht der 80 er und 90 er
Jahre fern. Blicke ich heute auf meine Bemühungen zurück, so finde ich, daß es mir
von Anfang an unmöglich war, die Kunst als etwas vom Leben Abgetrenntes zu betrachten.
Als Idealist geboren, nahmen meine Bemühungen um die Kunst «Joch immer eine prak-
tische Richtung: sie erschien mir von vornherein als eine Dienerin und Schmückerin
des Daseins. Der rein ästhetizistische Standpunkt war nie der meine. Der wahre
Adel der Kunst besteht darin, daß sie dem praktischen Leben dient.

So kam es auch zur Begründung der „Deutschen Kunst und Dekoration". Sie
wollte ein Organ sein zur Popularisierung der Kunst. Sie sollte die Berührungsflächen
zwischen Kunst und Volk verbreitern, sie sollte so den Künstlern wie dem Publikum
ein „redlicher Makler" sein. Sie sollte zugleich eine Aufgabe der Berichterstattung und
der Geistesveredlung übernehmen, sie sollte „Volksbildungsarbeit" leisten, lange ehe
dieses Wort erfunden war.

Sie hat dies getan auf dem Gebiet der freien wie der angewandten Kunst.

Um zunächst von dieser zu reden, so möchte ich als meine unmaßgebliche Meinung
aussprechen, daß wir damals wohl besser getan hätten, wenn wir unmittelbar auf der
hochentwickelten englischen Wohnkultur aufgebaut hätten, statt schlankweg auf die Suche
nach einem „neuen Stil" zu gehen. Denn dadurch gerieten wir in jenen üblen „Linien-
oder Jugend-Stil", der — nachdem er in Deutschland bald abgewirtschaftet hatte —
seinen Siegeslauf befremdlicher Weise durch die ganze Welt nahm und heute noch in
Frankreich, Italien, Spanien usw. den Bezirk der angewandten Künste als Schreck-
gespenst durchgeistert. Bei jenem ersteren Verfahren hätten wahrscheinlich viele dieser
Irrtümer und Umwege vermieden werden können. Aber die Geschichte wollte es anders...
und die Gerechtigkeit gebietet, dem vielgeschmähten Jugendstil wenigstens das Eine
zugute zu rechnen, daß er mit der geschmacklos „historisierenden" Bau- und Dekorations-
weise des 19. Jahrhunderts brach und — neben der Rückkehr zu echtem Material — das
Problem eines eigenen modernen Stils in ernster, dringlicher Art an uns herantrug.
Jedenfalls mußte die Zeitschrift den Bemühungen der Künstler achtsam und gewissenhaft
folgen, und sie tat dies, immer mit Auslese des Besten. Aller Welt sind heute die
schönen Ergebnisse bekannt, zu denen wir schließlich doch auf diese Weise gelangt sind.

Was die freie Kunst anlangt, so zeigen die verflossenen Jahrgänge genau den
Weg, den der Formgeist nach dem Zurückebben der ersten großen naturalistischen Welle
gegangen ist. Die Gründung der Zeitschrift fällt ungefähr in die Zeit, da die Wendung
zum „Impressionismus" vollendet war. Im Augenblick, in dem ich spreche, sind wir
abermals an einem Wendepunkt angelangt. Es ist der Übergang vom „Expressionismus"
zu einem Neuen, das noch keinen Namen hat. Wenn ich einen ketjerischen Gedanken
äußern darf, so ist es der, daß sich der Expressionismus gar nicht so sehr vom Im-
pressionismus unterscheidet. Sie ähneln sich sehr in der Verleugnung der Dinglichkeit,
sie wollten beide von einer getreuen, besonnenen Naturbeobachtung nichts wissen. Das
Weltbild zerfloß ihnen beiden; hier zu einem haltlosen Gewoge von Farben, dort zu
abstrusen, unverständlichen Liniengefügen. Für die Reproduktion erwuchsen aus diesem
Mangel formaler und geistiger Selbstzucht mancherlei Schwierigkeiten. Ich möchte
aufgrund meiner Erfahrungen sagen, daß ein wirklich gutes Bild auch immer eine gute
 
Annotationen