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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 49.1921-1922

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Esswein, Hermann: Willi Geiger
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https://doi.org/10.11588/diglit.9142#0226

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Willi Geiger.

PROFESSOR WILLI GEIGER.

»AUFGEREGTES PFERD«

skriptionen, die nicht schaden. Das Menschen-
bildnis ist ja heute längst schon mehr als bloß
Porträt, und selbst an den besten Exemplaren
der Gattung Mensch interessiert uns heute das
Individualpsychologische nur beiläufig, da es
wirklich erschöpfend ja doch nicht gemalt wer-
den kann, und je näher an der Naturwirklich-
keit, umso näher auch am schlechten Witz über
das Natürliche ist. Ein Bildnis kann heute ge-
trost „Die Ruhe", „Die Ekstase", „Der Wille
zum Ziel" heißen. Die Herren X. und Y., die
immer nur recht zufällig einmal den Anlaß zu
einer Künstler-Verzücktheit von bleibendem
Nachglanz geboten haben, sind wahrhaftig nicht
allzu wichtig.

Wodurch Geiger aber sich selber am besten
gegen den Verdacht der Absichtlichkeit eines
Hineingeisterns in die Dinge wehrt, gegen einen
Verdacht übrigens, der schon einmal zu einer
wirklichen Gefahr für ihn werden könnte, das
ist schließlich immer wieder sein Malertum,
seine starke, wenn auch äußerst nervöse, aufs
äußerste sublimierte Sinnlichkeit. Benennt man
mit Worten die chromatischen Mittel, man
möchte sie eher Tinten als Farben nennen, so

ist der Aufschrei und der Argwohn des Gräß-
lichsten sicher, denn Grün, Rosa, Lila ist von
altersher die Skala der — Parfümeriebranche.

Die Sache liegt aber so, daß der Maler, also
der vom chromatischen Jongleur wesentlich
verschiedene Farbengestalter, durch die Tona-
lität alle Gefahren zu meistern vermag, und, daß
er, je stärker er sich fühlt, die chromatischen
Schwierigkeiten nicht flieht, sondern sie auf-
sucht. Gerade bei Grünewald, siehe die Auf-
erstehungstafel des Isenheimer Altars, finden
sich ganz fatale Farben-Klänge, Branstiges und
parfümeriemäßig Schillerndes, das Glitzern von
Barbarenschmelz, das unser im Laufe einer kon-
zilianteren Neuzeit zag, geschmäcklerisch, oder
wenn man es lieber hört, abgeklärt gewordener
Geschmack inmitten höchster Verehrung doch
eben nur als barbaresk empfinden kann.....

Bei Geiger, der ursprünglich aus bayrischen
Hinterlanden gekommen, ist diese Farbennei-
gung wohl wie bei dem dezidierten Nicht-Welt-
mann Grünewald ein proletaroider Zug, von
dem die alte südliche Sinnenkultur eines Ce-
zanne krank geworden wäre, aber was bei
minder Differenzierten Parfüm bleibt, ist hier
 
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