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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 56.1925

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Michel, Wilhelm: Zur modernen Kunstbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9179#0162

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Zur modernen Kunstbetrachtung.

CARL MENSE -MÜNCHEN.

»ABEND IN DER CAMPAGNA«

sprächen kein Ende ist. Hören wir z. B., daß
wir nicht eher auf eine neue Kunst hoffen kön-
nen, als bis wir zu einer neuen Frömmigkeit
gekommen sind — ja, dann müssen wir wohl,
wenn wir diesen Ausspruch ernst nehmen, die
Hände entmutigt in den Schoß sinken lassen.
Da ist allem menschlichen Mühen der Boden
eatzogen, da sind unsere Hoffnungen in unab-
sehbare Zeitenferne hinausgerückt. Wird der
Symbolcharakter des Kunstwerks in aufdring-
licher Weise betont, dann müssen früher oder
später die realen, die festliegendenBedingungen,
unter denen ein Kunstwerk allein entstehen
kann, beeinträchtigt werden. — Denn Kunst
schafft Symbol von innenher, gewiß nicht auf
dem Umweg über das Bewußtsein.

Es ist nicht zufällig, daß Goethe jenen Aus-
spruch „ Alles Vergängliche ist nur ein Gleich-

nis" gleichsam nach seinem Arbeitstag, am
langen Sonntag seines Greisenalters getan hat.
Der Arbeitstag lebt von den Leidenschaften,
die das Nächste lieben, von den Interessen des
lebendigen Menschen. Was er leistet, hat Leib
aus der Gegenwart und Bedeutung für die Ge-
genwart. Die Auffindung der tieferen Dinge,
die sich in der Leistung bergen, muß doch dem
späteren Betrachten überlassen bleiben, und
Betrachten ist etwas ganz andres als Schaffen.

Diese Zeilen wollen dazu anregen, die Dinge
der Kunst leibhafter, zünftiger, handwerklicher
anzusehen, weniger hintersinnig, weniger hinter-
hältig. Wir müssen darauf vertrauen, daß wir
immer, was wir auch leisten, etwas tun im Sinne
eines gewaltigen, eines göttlichen, gottgewollten
Ganzen. Aber wir sollen das Wort schonen
und sollen, wie es Menschen ziemt, real und
 
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