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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 56.1925

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Michel, Wilhelm: Ausstellung "Bayerisches Kunsthandwerk 1925" in München, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9179#0409

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Ausstellung »Bayerisches Kunsthandwerk 1925*. in München.

professor eduard pfeiffer. »wandleuchter« kupfer vergoldet.

in denen der Mensch unsres Kulturkreises ein
dichtes, festes Gehäuse, ein massiges, gewich-
tiges Hausgestühl um sich bildete, sind einst-
weilen vorbei: Wir wollen von den Dingen der
Umgebung nicht gehemmt, sondern bedient und
gefördert sein. Wir verlangen insgeheim nach
übersichtlichen Zimmern, nach besonnenen, ge-
faßten, vernünftigen Möbelformen. Der wuch-
tigen Ekstase ziehen wir im Ernstfall das Leichte
und Karge vor. Zu uns gehört das Möbel, das
sich knapp auszusprechen und diskret zu dienen
weiß, der Raum ohne erhebliche Phrasen, ohne
neckische Sentiments. Die feineren Nerven des
Wiener Innenraums zeigen das Empfinden für
diese Sachlage schon seit längerer Zeit. In der
Münchener Ausstellung hat dieses Empfinden
das ganze Arrangement geformt und ihm jenen
Reiz, jene unauffällige, gebärdenlose Anmut ge-
geben, die den Weg durch diese beiden Raum-
fluchten zu einem Spaziergang durch einen
schönen Lustgarten macht.

In der Tat: es ist ein sehr hübsches Zusam-
mentreffen, daß der Auistellungspavillon ge-
rade in einem Garten steht, denn er nimmt das
Gartenmotiv mit feiner Empfindung auf, er baut

eine gepflegte Parklandschaft aus Kunstgewerbe
auf, in der die Möbel stehen wie draußen die
Büsche am Weg, die Lampen und Keramiken
wie Blumen; und die weiße Wand gibt so etwas
wie die Luft und den Himmel dieser kunstge-
werblichen Landschaft ab. Eine unbeschwerte,
heitere Stimmung stellt sich ein. Man fühlt sich
nicht mehr als Registrierapparat für vieltönige
Einzeleindrücke; man ist keinen Augenblick
versucht, zum Notizbuch zu greifen. Man weiß
sich in einem Ganzen zu Gast, man ist da zur
Freude, nicht zur Belehrung. Die Ausstellung
hat etwas geahnt von der neuen Einsicht, daß
der Mensch ein Ganzes ist und als Ganzes an-
gesprochen werden will. Für die alten Aus-
stellungen war es bezeichnend, daß sie den
sachlichen Teil und den Vergnügungsteil schrolf
von einander trennten; beide hatten nichts mit
einander zu tun. Hier hat man die Sache selbst
zu einer Freude gemacht. Jenes war Geist des
19. Jahrhunderts, des Jahrhunderts der Tren-
nungen, des Teils-Teils, der Spezialisierungen.
Dieses ist Geist des zwanzigsten Jahrhunderts,
unscheinbar im Auftreten, aber echt und vor-
bildlich im Wesen........ wilhelm michel.
 
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