Frans Hals. 39
man, daß der Magiſtrat der Stadt dem achtundſiebenzigjährigen Greiſe auf ſeine Bitten eine Penſion
von zweihundert Gulden jährlich, in Quartalraten zahlbar, gewähren muß, und daß dieſelbe Be-
hörde ihm auf ein neues Geſuch drei Fuhren Torf bewilligt! Glücklicherweiſe hatte der alte Mann
nicht lange den Kummer, das Gnadenbrod von ſeinen Mitbürgern eſſen zu müſſen, deren Stadt er
durch ſeine Thätigkeit mit unvergänglichem Ruhm umgeben hatte. Am 29. (?) Auguſt des Jahres
1666 ſtarb der Zweiundachtzigjährige, und ward am 2. September in der Hauptkirche (,groote
Kerk“) von Haerlem beigeſetzt. — Seiner Wittwe ging es nach ſeinem Tode noch trauriger. Auf
wiederholte Bitten ſetzte ihr der Magiſtrat 1675 eine wöchentliche Unterſtützung von vierzehn
Stübern aus, ein kärglicher Gnadenlohn fürwahr, deſſen ſie ſich wohl auch nicht lange erfreut hat.
Das eigentliche und faſt ausſchließliche Gebiet des Frans Hals iſt die Bildnißkunſt, doch in
jener der holländiſchen Malerei eigenthümlichen Weiſe, die den Werken ein großartig hiſtoriſches
Gepräge zu geben weiß. Die Fülle ſeiner Kraft bewährt er und die innere Entwickelung ſeiner Kunſt
ſtellt er dar in jenen acht figurenreichen Schützen- und Regentenſtücken im ſtädtiſchen Muſeum und in
zwei ähnlichen Portraitgruppenbildern in milden Stiftungen zu Haerlem, deren Datirung die Jahre
1616 bis 1664 umfaßt, alſo vom zweiunddreißigſten bis achtzigſten Lebensjahre des Künſtlers
reicht Bis zu wahrhaft wunderbarer Kühnheit ſchreitet die Freiheit feiner Pinſelführung fort.
Mit einzelnen unvermalt ſtehen bleibenden Pinſelſtrichen weiß er die höchſte Wirkung zu erzielen,
und doch vermag er daneben die größten Feinheiten eines köſtlichen Gewandſtoffes oder prächtig
eleganter Spitzenbeſätze zur Geltung zu bringen. Nach der Seite der techniſchen Möglichkeit liegt
daher gar kein Grund vor, die Anekdote von der Begegnung mit van Dyck zu beanſtanden. — Aber
wie ſie auch glänzen, ſeine Coſtüme und Beiwerke, über Alles hinweg ſtrahlen doch ſeine Köpfe. Von
jener bedeutſamen Tiefe der Charakteriſtik ſind ſie, die keinen Zweifel an der Wirklichkeit dieſer
Menſchen, an der Aehnlichkeit dieſer Züge aufkommen laſſen. Jede Perſönlichkeit ein Charakter
aus ganzem Holze, Jeder ein Individuum, eine Eigenthümlichkeit; niemals Monotonie, niemals
Langweiligkeit, niemals Schablone; immer Geiſt, Leben und vielſeitige Beweglichkeit der Auffaſſung.
In ſeiner Farbenbehandlung ging er von wunderbarer, ſilberheller Klarheit zu jener die energiſchen
Farben⸗Gegenſätze faſt aufhebenden, anfangs grauen, ſpäter warm braͤunlichen Tonleiter über, durch
deren Begründung und man kann ſagen Erfindung er der Vorläufer des Rembrandt'ſchen Hell-
dunkels wurde. — Noch iſt eine Seite ſeines Weſens zu betrachten, durch die er pſychologiſch höchſt
intereſſant geworden: ſein Humor in der Schilderung der Häßlichkeit. Sein Schuſter Jan
Barentz, Kriegskamerad des Admirals Tromp (in der Sammlung des verſtorbenen W. Bürger in
Paris) und mehr noch ſeine „Hille Bobbe van Haerlem“, %ein unbeſchreibliches Scheuſal von einer
alten Hexe und doch ein waͤhrhaft bezauberndes Bild, einer der Hauptſchätze der reichen und
außerſt gewählten Suermondt'ſchen Privatgalerie in Aachen, ſind weit und breit berühmt. In letz-
terer Sammlung auch das Rundbild eines lachenden Knaben, um nicht zu ſagen Straßenjungen,
beſonders in den klatſchrothen Backen noch an jene derbe Färbung der Noort'ſchen Schule erinnernd,
die beim Jordaens gewöhnlich iſt. — Und um den vollendeten Gegenſatz zu dieſer Richtung zu
bezeichnen, mag zum Schluß noch eine Perle der (neben der Suermondt'ſchen) für Hals ergiebigſten
Galerie in Deutſchland erwähnt werden, der Caſſeler: Zwei Knaben, welche zuſammen ſingen und
muſiciren, ein koſtbares Bild, das es mit den Genreſtücken von Murillo aufnimmt. B. M.
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man, daß der Magiſtrat der Stadt dem achtundſiebenzigjährigen Greiſe auf ſeine Bitten eine Penſion
von zweihundert Gulden jährlich, in Quartalraten zahlbar, gewähren muß, und daß dieſelbe Be-
hörde ihm auf ein neues Geſuch drei Fuhren Torf bewilligt! Glücklicherweiſe hatte der alte Mann
nicht lange den Kummer, das Gnadenbrod von ſeinen Mitbürgern eſſen zu müſſen, deren Stadt er
durch ſeine Thätigkeit mit unvergänglichem Ruhm umgeben hatte. Am 29. (?) Auguſt des Jahres
1666 ſtarb der Zweiundachtzigjährige, und ward am 2. September in der Hauptkirche (,groote
Kerk“) von Haerlem beigeſetzt. — Seiner Wittwe ging es nach ſeinem Tode noch trauriger. Auf
wiederholte Bitten ſetzte ihr der Magiſtrat 1675 eine wöchentliche Unterſtützung von vierzehn
Stübern aus, ein kärglicher Gnadenlohn fürwahr, deſſen ſie ſich wohl auch nicht lange erfreut hat.
Das eigentliche und faſt ausſchließliche Gebiet des Frans Hals iſt die Bildnißkunſt, doch in
jener der holländiſchen Malerei eigenthümlichen Weiſe, die den Werken ein großartig hiſtoriſches
Gepräge zu geben weiß. Die Fülle ſeiner Kraft bewährt er und die innere Entwickelung ſeiner Kunſt
ſtellt er dar in jenen acht figurenreichen Schützen- und Regentenſtücken im ſtädtiſchen Muſeum und in
zwei ähnlichen Portraitgruppenbildern in milden Stiftungen zu Haerlem, deren Datirung die Jahre
1616 bis 1664 umfaßt, alſo vom zweiunddreißigſten bis achtzigſten Lebensjahre des Künſtlers
reicht Bis zu wahrhaft wunderbarer Kühnheit ſchreitet die Freiheit feiner Pinſelführung fort.
Mit einzelnen unvermalt ſtehen bleibenden Pinſelſtrichen weiß er die höchſte Wirkung zu erzielen,
und doch vermag er daneben die größten Feinheiten eines köſtlichen Gewandſtoffes oder prächtig
eleganter Spitzenbeſätze zur Geltung zu bringen. Nach der Seite der techniſchen Möglichkeit liegt
daher gar kein Grund vor, die Anekdote von der Begegnung mit van Dyck zu beanſtanden. — Aber
wie ſie auch glänzen, ſeine Coſtüme und Beiwerke, über Alles hinweg ſtrahlen doch ſeine Köpfe. Von
jener bedeutſamen Tiefe der Charakteriſtik ſind ſie, die keinen Zweifel an der Wirklichkeit dieſer
Menſchen, an der Aehnlichkeit dieſer Züge aufkommen laſſen. Jede Perſönlichkeit ein Charakter
aus ganzem Holze, Jeder ein Individuum, eine Eigenthümlichkeit; niemals Monotonie, niemals
Langweiligkeit, niemals Schablone; immer Geiſt, Leben und vielſeitige Beweglichkeit der Auffaſſung.
In ſeiner Farbenbehandlung ging er von wunderbarer, ſilberheller Klarheit zu jener die energiſchen
Farben⸗Gegenſätze faſt aufhebenden, anfangs grauen, ſpäter warm braͤunlichen Tonleiter über, durch
deren Begründung und man kann ſagen Erfindung er der Vorläufer des Rembrandt'ſchen Hell-
dunkels wurde. — Noch iſt eine Seite ſeines Weſens zu betrachten, durch die er pſychologiſch höchſt
intereſſant geworden: ſein Humor in der Schilderung der Häßlichkeit. Sein Schuſter Jan
Barentz, Kriegskamerad des Admirals Tromp (in der Sammlung des verſtorbenen W. Bürger in
Paris) und mehr noch ſeine „Hille Bobbe van Haerlem“, %ein unbeſchreibliches Scheuſal von einer
alten Hexe und doch ein waͤhrhaft bezauberndes Bild, einer der Hauptſchätze der reichen und
außerſt gewählten Suermondt'ſchen Privatgalerie in Aachen, ſind weit und breit berühmt. In letz-
terer Sammlung auch das Rundbild eines lachenden Knaben, um nicht zu ſagen Straßenjungen,
beſonders in den klatſchrothen Backen noch an jene derbe Färbung der Noort'ſchen Schule erinnernd,
die beim Jordaens gewöhnlich iſt. — Und um den vollendeten Gegenſatz zu dieſer Richtung zu
bezeichnen, mag zum Schluß noch eine Perle der (neben der Suermondt'ſchen) für Hals ergiebigſten
Galerie in Deutſchland erwähnt werden, der Caſſeler: Zwei Knaben, welche zuſammen ſingen und
muſiciren, ein koſtbares Bild, das es mit den Genreſtücken von Murillo aufnimmt. B. M.
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