Jartholomaeus van der Helst. — 59
talen Schilderungen der weltumgeſtaltenden Ereigniſſe. So zugleich in ächt hiſtoriſchem und ächt
nationalem Geiſie erdacht und hervorgebracht ſtehen dieſe großen Portraitſtücke ebenbürtig und
vollwichtig neben den erleſenſten Schöpfungen der geſchichtlichen Malerei, den meiſten anderen
Arten der Schilderung darin überlegen, daß ſie am tiefſten, reinſten und unmittelbarſten ſich von
jener durchaus modernen, höchſt intimen Auffaſſung der geſchichtlichen Begebenheiten ganz durch-
drungen zeigen, die, ganz im Gegenſatz zu der älteren Betrachtungsweiſe, das Geſchehende als Ausfluß
und Wirkung einer höheren, oft unmittelbar eingreifenden Macht anzuſehen, die handelnden und
treibenden Kräfte in den menſchlichen Trägern der Handlungen aufſucht, und die ganz individuellen
Charaktere der Perſönlichkeiten in den Mittelpunkt des Intereſſes rückt. Indem die Wirkenden
ſo geſchildert werden, daß ſie ſchon durch ihre Erſcheinung, ihre Haltung und ihr Auftreten bekunden,
weſſen man ſich in allen Fällen von ihnen zu verſehen hat, wird die einzelne Thatſache, die beſondere
Action gewiſſermaßen Nebenſache, behält nur untergeordnetes Intereſſe, und eine Darſtellung ver-
bundener, je für ſich und mit einander abgeſchloſſener Charaktere reicht weit über die Bedeutſamkeit
der bedeutendſten Handlung hinaus, die ja — das iſt ein Hauptpunkt — in der bildenden Kunſt
immer nur unvollſtändig und andeutungsweiſe zur Darſtellung gebracht werden kann. Selbſt wo
dann zum Motiv der Gruppirung eine Handlung genommen wird, da entſteht nicht die Noth, ſie
nun auch recht wichtig und gewaltig zu wählen, ſondern wenn ſie die Gemeinſchaft erklärt und
belebt, ſo iſt das Einfachſte gut: ein Probeſchießen, eine Feſtmahlzeit. Den Betheiligten iſt um
ihre Würde nicht bange; ſie wiſſen, man ſieht es ihnen an, daß ſie nicht bloß zum Parademachen
und Jubiliren in der Welt ſind, ſondern daß ſie dazu nur Luſt und Muth haben, weil ſie im Großen
gewirkt und ſich bewährt haben.
Davon bekommt man nie einen lebendigeren und überzeugenderen — als wenn man
ſich im Muſeum von Amſterdam zwiſchen Rembrandt's Nachtwache und der gegenüber aufgeſtellten
„Schuttersmaltijd“ (Schützenmahlzeit) des van der Helſt befindet. Es iſt ein Banquet der Bürger-
garde, das den 18. Juni 1648 im großen Saale den St-Joris-Doelen am Singel zu Amſterdam
Statt hatte zur Feier des Friedensſchluſſes zu Münſter (weſtphäliſcher Friede). Die fünfundzwanzig
lebensgroßen ganzen Figuren ſind ſämmtlich Portraits. Der Capitain Cornelis Jan Wits an
der Spitze der Tafel hält in der Linken ein koſtbares ſilbernes Trinkhorn, deſſen Original ſich
noch im Rathhauſe befindet, und drückt mit der Rechten freundſchaftlich ſeinem Lieutenant Johannes
van Waveren die Hand, der aufmerkſam ſeinen Worten lauſcht. Hinter dieſem, in der Mitte
des Bildes, ſitzt der ſtattliche Fahnenträger, Jacob Banning, bequem und flott in der Poſe; die
blauſeidene Fahne mit der geſtickten heiligen Jungfrau, dem Stadtwahrzeichen von Amſterdam, ſtolz
im Arm. Es folgen dann die anderen Feſtgenoſſen, in der mannichfaltigſten Weiſe in Anſpruch
genommen, meiſt dem Trinkſpruch des Capitains zuhörend. Der Wirth des Doelen und eine
Dienerin ſorgen für die Aufwaͤrtung.
Das Bild iſt 2,27 Meter hoch und 5,38 Meter breit. Jede einzelne Figur zeigt die höchſte
Natürlichkeit und charakteriſtiſche Auffaſſung. Die Compoſition iſt eben ſo fließend wie lebendig.
Ueber die Zeichnung ein Wort zu ſagen wäre überflüſſig. Alle Theile, bis auf das geringſte
Tiſchgeräth, beſonders natürlich Köpfe und Hände, bekunden die Meiſterhand. Auch die Malerei in
kräftiger und klarer Färbung und die trefflich gefundene Mitte zwiſchen Breite und Feinheit der
Pinſelführung lößt nirgends zu wünſchen übrig. Im Totaleindruck freilich, in maleriſcher Haltung
15*
talen Schilderungen der weltumgeſtaltenden Ereigniſſe. So zugleich in ächt hiſtoriſchem und ächt
nationalem Geiſie erdacht und hervorgebracht ſtehen dieſe großen Portraitſtücke ebenbürtig und
vollwichtig neben den erleſenſten Schöpfungen der geſchichtlichen Malerei, den meiſten anderen
Arten der Schilderung darin überlegen, daß ſie am tiefſten, reinſten und unmittelbarſten ſich von
jener durchaus modernen, höchſt intimen Auffaſſung der geſchichtlichen Begebenheiten ganz durch-
drungen zeigen, die, ganz im Gegenſatz zu der älteren Betrachtungsweiſe, das Geſchehende als Ausfluß
und Wirkung einer höheren, oft unmittelbar eingreifenden Macht anzuſehen, die handelnden und
treibenden Kräfte in den menſchlichen Trägern der Handlungen aufſucht, und die ganz individuellen
Charaktere der Perſönlichkeiten in den Mittelpunkt des Intereſſes rückt. Indem die Wirkenden
ſo geſchildert werden, daß ſie ſchon durch ihre Erſcheinung, ihre Haltung und ihr Auftreten bekunden,
weſſen man ſich in allen Fällen von ihnen zu verſehen hat, wird die einzelne Thatſache, die beſondere
Action gewiſſermaßen Nebenſache, behält nur untergeordnetes Intereſſe, und eine Darſtellung ver-
bundener, je für ſich und mit einander abgeſchloſſener Charaktere reicht weit über die Bedeutſamkeit
der bedeutendſten Handlung hinaus, die ja — das iſt ein Hauptpunkt — in der bildenden Kunſt
immer nur unvollſtändig und andeutungsweiſe zur Darſtellung gebracht werden kann. Selbſt wo
dann zum Motiv der Gruppirung eine Handlung genommen wird, da entſteht nicht die Noth, ſie
nun auch recht wichtig und gewaltig zu wählen, ſondern wenn ſie die Gemeinſchaft erklärt und
belebt, ſo iſt das Einfachſte gut: ein Probeſchießen, eine Feſtmahlzeit. Den Betheiligten iſt um
ihre Würde nicht bange; ſie wiſſen, man ſieht es ihnen an, daß ſie nicht bloß zum Parademachen
und Jubiliren in der Welt ſind, ſondern daß ſie dazu nur Luſt und Muth haben, weil ſie im Großen
gewirkt und ſich bewährt haben.
Davon bekommt man nie einen lebendigeren und überzeugenderen — als wenn man
ſich im Muſeum von Amſterdam zwiſchen Rembrandt's Nachtwache und der gegenüber aufgeſtellten
„Schuttersmaltijd“ (Schützenmahlzeit) des van der Helſt befindet. Es iſt ein Banquet der Bürger-
garde, das den 18. Juni 1648 im großen Saale den St-Joris-Doelen am Singel zu Amſterdam
Statt hatte zur Feier des Friedensſchluſſes zu Münſter (weſtphäliſcher Friede). Die fünfundzwanzig
lebensgroßen ganzen Figuren ſind ſämmtlich Portraits. Der Capitain Cornelis Jan Wits an
der Spitze der Tafel hält in der Linken ein koſtbares ſilbernes Trinkhorn, deſſen Original ſich
noch im Rathhauſe befindet, und drückt mit der Rechten freundſchaftlich ſeinem Lieutenant Johannes
van Waveren die Hand, der aufmerkſam ſeinen Worten lauſcht. Hinter dieſem, in der Mitte
des Bildes, ſitzt der ſtattliche Fahnenträger, Jacob Banning, bequem und flott in der Poſe; die
blauſeidene Fahne mit der geſtickten heiligen Jungfrau, dem Stadtwahrzeichen von Amſterdam, ſtolz
im Arm. Es folgen dann die anderen Feſtgenoſſen, in der mannichfaltigſten Weiſe in Anſpruch
genommen, meiſt dem Trinkſpruch des Capitains zuhörend. Der Wirth des Doelen und eine
Dienerin ſorgen für die Aufwaͤrtung.
Das Bild iſt 2,27 Meter hoch und 5,38 Meter breit. Jede einzelne Figur zeigt die höchſte
Natürlichkeit und charakteriſtiſche Auffaſſung. Die Compoſition iſt eben ſo fließend wie lebendig.
Ueber die Zeichnung ein Wort zu ſagen wäre überflüſſig. Alle Theile, bis auf das geringſte
Tiſchgeräth, beſonders natürlich Köpfe und Hände, bekunden die Meiſterhand. Auch die Malerei in
kräftiger und klarer Färbung und die trefflich gefundene Mitte zwiſchen Breite und Feinheit der
Pinſelführung lößt nirgends zu wünſchen übrig. Im Totaleindruck freilich, in maleriſcher Haltung
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