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Nr. 34.

HEIDELBERGER

1860.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Fr. Nitz sch} das System des Boethius und die ihm zugeschriebe-
nen theologischen Schriften. Eine kritische Urtersuchung. Ber-
lin 1860. Wiegandt u. Grieben. VIII u. 182 S. 8vo.
Persönlichkeiten, welche an der Grenze eines grossen, aber
untergebenden Zeitalters stehen und selber noch an der Stirn das
leuchtende Zeichen tragen, dass ihre Zeit eine im Erlöschen selbst
noch acbtungswerthe gewesen, welche sie in mancher Beziehung
noch überragen, nehmen aus diesem Grunde schon ein hohes In-
teresse für sich in Anspruch. Dieses aber wächst, wenn sie auch
der nachfolgenden Zeit durch den Werth ihrer schriftlichen Hinter-
lassenschaft auf lange hinaus die Wege vorzeichneü, ihr Geist gleich-
sam eine, Vergangenheit und Zukunft geistig verbindende Kette bildet.
Denn dadurch gewinnen ihre Schriften nicht bloss historische Bedeu-
tung, sie‘tragen vielmehr einen kulturgeschichtlichen Charakter, der
um so höher anzuschlagen ist, je mehr allgemein gültige Wahrheiten
solche Geisteserzeugnisse enthalten. An der Grenze der klassischen
Literatur nicht allein Italiens, sondern des gesammten Occidents be-
gegnen uns in der Umgebung Theodorichs, des Grossen, zwei sol-
cher Männer, Cassiodorus und Boethius, letzterer dem ersteren an
Gelehrsamkeit gleich, an Scharfsinn und als selbständiger Denker
ihn übertreffend. Unter falsche Anklage gestellt, hat Boethius ein
Märtyrertbum mit preiswürdigem Muthe getragen; ob es ein christ-
liches gewesen, das ist eben die zu untersuchende Frage. Jedenfalls
aber war es ein Märtyrerthum für die von ihm anerkannte Wahr-
heit. Angesichts des Todes schrieb er den berühmten Dialog de
consolatione pbilosophiae, der auf die nachfolgende Scholastik von
grösstem Einfluss gewesen, sowie angeblich noch mehrere theolo-
gische Abhandlungen von seiner Hand sein sollen. Desshalb nun
ist es von Wichtigkeit, zu wissen, ob er ein Christ gewesen, oder
nur heidnischer Philosoph. Im Mittelalter hielt man ihn allgemein
für einen christlichen Theologen, neuerdings hat man dies bezwei-
felt. Der Verfasser der vorliegenden kritischen Untersuchung hat
daher eine wichtige Frage zum Abschluss zu bringen versucht.
Nachdem er deren Bedeutung in der Einleitung S. 1 bis 5 hervor-
gehoben, giebt er S. 6—12 einen kurzen Lebensabriss des B., „um
einen Rahmen für seine Untersuchung zu gewinnen“. Dann be-
leuchtet er Seite 13 bis 19 die Sage von dem Märtyrerthum des
Boethius und kommt zu dem Ergebniss, dass er ein christlicher
Märtyrer nicht war, „keineswegs für den Glauben, sondern als
Opfer des Verratbs durch einen König den Tod erlitt, der ihn im
politischen Sinne für einen novarum rerum Studiosus oder für einen
LI1I Jahrg. 7. Heft. 34
 
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