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Nr. 50.

HEIDELBERGER

1860.

JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

J. Schaller: Das Seelenleben des Menschen.

(Schluss.)
Wie das Vernunftleben des Menschen, nach jener Philosophie, aus dem
Boden des im Naturtaumel befangenen Seelenlebens emportreiben soll, so mag
es auch in ihrer dialektischen Fortbewegung erfordert werden, dass der wer-
dende Geist den Krieg gegen die Auflösung, gegen Aufruhr und Knechtung
im eignen Hause erst wird bestehen müssen, ehe er zum lauteren und festen
Bewusstsein und zu rechter Freiheit sich hindurchringen kann. Wir finden
die Stellung, die Schaller der Lehre von den Seelenstörungen giebt, insbeson-
dere deshalb unangemessen, weil er die normalen Functionen der Phantasie,
die in den Seelenkrankheiten so merkwürdig auftritt, noch gar nicht erörtert
hat. Und wenn wir darauf achten, dass der Seelenkranke die Herrschaft über
sich selbst eingebiisst hat, dass in ihm die obere Vernunfteinheit, welche das
menschliche Thun mit Zweckmässigkeit fasst und leitet, gefallen ist, so müss-
ten wir für eine anschauliche und entsprechende Beschreibung der zerrütteten
Gemüthszustände doch voraussetzen, dass das gesunde Lebenagetriebe des
Geistes zuerst vollständig geschildert werde, damit jene Beschreibung sich
hierauf beziehen könne.
Schaller führt vier Krankheitszustände der Seele vor: Traum,
Schlafwandeln, thierischen Magnetismus, Verrücktheit. Ob
dieser Reihenfolge eine richtige Eintheilung zu Grunde liegt, lässt sich be-
zweifeln. Traum, Schlafwandeln und Lebensmagnetismus gehören einer an-
deren Reihe von Seelenerscheinungen an, als insgesammt die Zustände der
Verrücktheit. — Uns scheint es nicht gerechtfertigt, den Traum bloss als
Störung des Schlafes und darum nur als einen krankhaften Zustand anzuse-
hen, wennschon die meisten Träume von dieser Art sein mögen. In den
Träumen wird uns ein Lebenszustand erinnerlich, der ganz eigene Gegenden
und Weiten unseres Seelenlebens aufthut, dessen Bewusstsein und Gedächtnis·
auch zu unserem Leben natürlicher Weise gehört und daher nicht ohne Un-
terschied zu den krankhaften Vorgängen geworfen werden darf.
In der Lehre von den eigentlichen Seelenkrankheiten hebt der
Verfasser die verschiedentlich von Psychologen bemerkte Beziehung der See-
lenstörungen zu dem Schlafleben hervor. Sicherlich ist der Hauptgegensatz
in dem periodischen Wechsel der Lebenszustände des Menschen, des Wachens
und Schlafens, in sehr vielen Fällen bei Gemüthskranken ans der Ordnung ge-
rückt und widernatürlich gemischt. Die Seelenthätigkeiten des Irren erschei-
nen dann, bei äusserlichem Wachen, innen wie im Traum befangen, lose und
unbeherrscht, wie dem Zufall preisgegeben, eben deswegen aber auch be-
drückt, gebannt, unfrei, ohne den Zusammenhang der Zweckbestimmung, der
L1II. Jahrg. 10, Heft. 50
 
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