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Chronik der Universität Heidelberg für das Jahr 1860.

Am 22. November ward von der Universität in herkömmlicher
Weise das Fest der Geburt ihres erlauchten Restaurators, des höchst-
seligen Grossherzogs Carl Friedrich, gefeiert. Die seitdem auch
im Druck erschienene Rede (Heidelb., bei G. Mohr. 1860.) des zeitigen
Prorectörs Geh. Kircbenrath Hundeshagen verbreitete sich
„über einige Hauptmomente in der geschichtlichen
Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat
und Kirche.“
Sie beginnt mit einer Schilderung der engen Verknüpfung der
gottesdienstlichen Einrichtungen mit der Staatsverfassung im alten
Rom, und macht das lebhafte Interesse lür die Erhaltung der Na-
tionalkulte kenntlich, von welchem die römischen Staatsmänner sich
selbst bis in die spätesten Zeiten durchdrungen zeigen, wo die von
Griechenland eingedrungene Skepsis bei ihnen längst den persönli-
chen Glauben an die Staatsmythologie untergraben bat. Der Grund
dieses Interesses wird gefunden in den bekannten Erwägungen der
Bedeutung jener Mythologie für die Volksleitung und Massenbeherr-
schung, wie sie von Polybius, Μ. Terentius Varro u. a. angestellt wer-
den, und nach Anleitung der gedachten Schriftsteller der Begriff der
sogen.römischen Civiltheologie näher entwickelt. Es wird gezeigt,
wie aus der Civiltheologie entspringende Erwägungen selbst noch bei
mehreren der christenverfolgenden Kaiser massgebend gewesen sind
für ihr Einschreiten gegen die christliche Kirche. Im Fernern kommt
das Wesen der Kirche im Unterschied von den heidnischen Cultge-
nossenschaften zur Sprache und wird naebgewiesen in deren Katho-
licität, d. h. ihrem über die bisherige Beschränkung auf Staat und
Nationalität weit hinausstrebenden Expansivtrieb. Weil erst mit dem
Christenthum die Idee einer über die Grenzen des Einzelstaats hin-
ausgreifenden Gattung religiöser Vergesellschaftung sich bilden konnte,
so wird die Idee der Kirche ausschliesslich dem Christenthum vin-
dicirt. Demnach kann von einem Verhältniss zwischen Staat und
Kirche erst in der christlichen Weltperiode die Rede sein. Es folgt
die Ausführung, wie dem Gesellschaftsbewusstsein der katholischen
Kirche deren Unabhängigkeit vom Staat schon von Anfang an ge-
wiss ist. Aber seit Constantin dem Gr. macht in der Verwirkli-
chung dieser Theorie die Kirche der östlichen und der westlichen
Hälfte des römischen Reiches sehr ungleiche Fortschritte. In Ostrom
tritt einerseits die Macht der altrömischen Staatstradition, andrer-
seits der Einfluss der vorwiegend philosophischen Bildung des Grie-
chenthums und der davon untrennbaren Zersplitterung in theologi-
LIII. Jahrg. 12. Heft. 61
 
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