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Nr. 44.

HEIDELBERGER

1860.

JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

C a r r i e r e: Aesthetik.

(Schluss.)
Bei der Eint Heilung der Dichtungsarten in ein-
zelne Unterarten hat der Verf. Recht, sich an das Hauptsäch-
liche zu halten, denn allerlei Varietäten in den Dichtungen zu cha-
rakterisiren, ist sowenig Sache der Philosophie der Kunst, wie sie
es mit jederlei Ausgeburten des musicalischen Geschmacks der Mode
zu thun hat. Hie und da lässt sich jedoch die vom Verf. beliebte
Anordnung bestreiten; so die Stellung des Epigramms bei der ob-
jectiven Gedankendichtung unter der epischen Gattung. Sofern Epi-
gramme Urtheile der dichtenden Person selber ausdrücken, gehören
sie zur lyrischen Gattung. Ode und Elegie werden von dem Verf.
der Lyrik der Anschauung zugewiesen; sie würden besser als Lyrik
der Betrachtung bezeichnet werden. Es giebt Elegien, die durch
die tiefste Lyrik der Gefühle inspirirt sind, nicht aber zuerst und
ursprünglich durch Anschauungen, wenngleich sich solche hinzuge-
sellen; da aber die Elegie nicht einfache Gefühle, wofür vielmehr
das Lied den Ausdruck giebt, sondern Gegensätzliches auszusprechen
pflegt, so führt sie zum vergleichenden, sinnenden Betrachten. Noch
konnte auch eine ethische Lyrik unterschieden werden, wohin wir
viele herrliche Vaterlandslieder, wie das ganzdeutsche Lied von
Arndt, und Kriegsgesänge, wie Rückert’s geharnischte Sonette, rech-
nen, sofern in solchen Liedern eine sittliche Mahnung zu Gesinnung
und That enthalten ist. — In der Abhandlung vom Drama vermis-
sen wir die Lehre von den dramatischen Motiven, welche
doch recht in’s Verständniss der eigenthümlich dramatischen Com-
position, d. h. der Gliederung einer sich entwickelnden poetischen
Handlung, einzuführen geeignet ist. Die dramatischen Motive sind
theils vorantreibende, theils verbreitende, theils retardirende, immer
jedoch sind es nur verschiedene Formen, in denen die Gliederung
und Bewegung der dramatischen Handlung, als Anlage, Verwicklung
und entscheidende Entwicklung, sich vollzieht. — Der besondere
Werth der geschichtlichen Stoffe für die höheren
Dichtungsarten, namentlich im ernsten Epos und Drama, wäre
schon deswegen mit Nachdruck hervorzuheben gewesen, weil man
die Dichter der Gegenwart dringend auf solche Stoffe hinweisen
muss. Der gute geschichtliche Stoff schliesst eine Lebensfähigkeit,
eine Wahrheit und Realität in sich, die dem Dichter sehr zu Statten
kommen. Vorzüglich in dem Vaterländischen liegt eine grosse
LIII. Jahrg. 9. Heft. 44
 
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