Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
688

Carriere: Aesthetik.

Verwirklichung sei, er selbst werde erst in ihm“ (S. 442), wird
zuviel behauptet. Die Verwirklichung des reinen Gedankens ist
Sache des Denkens, der Gedanke als solcher hat sein Dasein im
erkennenden Geiste; die Sprache soll bezeichnen und dadurch mit-
theilen; sie könnte den Gedanken nicht bezeichnen, wenn der-
selbe nicht zuerst als Denkhandlung dawäre. Mit dem Wort er-
langt der Gedanke seine Erscheinung, die eine weitere Bestimmniss
an seiner Verwirklichung ist; in diesem Sinne ist das Wort des
Gedankens Leib und er ist eins damit; jenes ist kein todtes Kleid,
es ist ein lebendiges in der zusammenhaltenden Lebenshandlung des
denkenden und bezeichnend darstellenden Geistes getragenes Vehikel,
kein äusseres, noch zufälliges, dennoch aber nicht mehr noch min-
der, als ein Ausdrucksmittel, das sehr verschieden sein kann, Laut-
zeichen, Bildzeichen. Noch während das innerlich gestaltete Denken
im Wort sich ausdrückt, arbeitet freilich der gedankenbildende Geist
daran fort und fort, die Sache ist nicht abgethan und abgelöst
von ihrem Boden, sondern das Denkproduct wird noch lebenswarm
in die Form des Sprachmittels gegossen, dadurch erst wird das Er-
zeugniss ein äusseres, gegenständliches; das Werden des Gedankens
darf darum mit seiner sprachlichen Aeusserung nicht vermengt werden.
— Das Formale in der Dichtung, die Sprache, wird von dem
Verf. sinnig betrachtet. Bei der Lehre vom Reime hätte das Echo
erwähnt werden können, ein arrmuthiges oft ahnungsvolles Spiel mit
Worten, dessen z. B. Tieck sich schön zu bedienen weiss, wovon
Fr. Bodenstedt in seiner Uebersetzung von J. Webster’s Herzogin
von Amalfi (Shakspeare’s Zeitgenossen und ihre Werke, I.) ein
sehr gelungenes Beispiel giebt. — Der durchgängige Gegensatz in
der Rede, wonach sie Prosa oder in Versen ist, hätte genauer,
als es von dem Verf. geschehen ist, erwogen werden sollen. Die
Prosa hat ihre eigenthümliche, nämlich ideell freie, rhythmische Fort-
schreitung, der Vers eine an periodische Wiederkehr gebundene.
Beiderlei Formen, und nicht bloss die letzteren, sind innerhalb der
schönen dichterischen Sprachdarstellung zu betrachten, die Prosa
eines Dichters hat andere Gesetze, als die des Redners, des Ge-
schichtschreibers, des Philosophen, des Naturforschers. Es ist eine
einseitige Ansicht von der Prosa, wenn man dieselbe nur der wis-
senschaftlichen und praktischen Rede zueignen will. —
(Schluss folgt.)
 
Annotationen