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Carriere: Aesthetik.

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der Seelenstimmungen als solcher, was die Psychologen zu über-
sehen pflegen, indem sie die Stimmungen der Seele am liebsten
ganz von den Vorstellungen und äusseren Eindrücken abhängig ma-
chen, gleich als ob Alles in der Seele mit bewusster Reflexion und
durch die Anschauung vor sich ginge. Wir sagten vorhin, die Ge-
fühlsseite des Innenlebens habe relativer Weise einen eignen Gang,
nämlich nicht mehr noch minder eigen und für sich, als es über-
haupt in der organischen Einheit des Geistes, der ein einiges Ganzes
ist, sein kann und muss.
Die dritte Abtheilung des zweiten Bandes (Seite
441 — 634) behandelt die Poesie. Der Verf. erklärt dieselbe, als
„Darstellung der Gedanken und Thaten durch die Sprache“, für
die „Verbindung der beiden andern Künste (der bildenden und der
Musik) in einer idealen Wiedergeburt“. Statt einer idealen Wie-
dergeburt haben wir vielmehr in der Dichtung zuerst die ur»
sprüngliche Einheit der Kunst zu erkennen, indem die
Dichtung das ganze. Gebiet des Schönen als innere Vorstellung be-
zeichnet ; sie zeigt uns die innerlich begründende Einheit des Kunst-
lebens und wird als besondere Kunstgattung durch das ihr eigene
Darstellungsmittel begrenzt. Dabei kann freilich auch eine geistige
Rückbildung der übrigen Kunstgebiete in die Welt der Poesie
stattfinden, diese Rückbildung macht aber nicht das Ganze des
dichterischen Schaffens aus, sondern ist selber nur vermöge der
quellenmässigen Ursprünglichkeit der Poesie, als der Urkunst des
Geistes, zu vollbringen.
Den ganzen Abschnitt über die Dichtkunst hat der Verf. mit
gleicher Liebe zur Sache, wie die vorigen, bearbeitet, und es fehlt
darin nicht an eigenthümlichen und trefflichen Bemerkungen. Nur
Einiges möge noch erinnert werden. Wir begegnen mehrmals, bei
Besprechung des Unterschieds zwischen Poesie und Wis-
senschaft, der Ansicht, als habe die Wissenschaft nur das All-
gemeine zu ihrem Inhalt (S. 442. 450), da doch die Wissenschaft,
als beschreibende Kunde des Wirklichen, als Geschichte, überhaupt
als Erfahrung, ebensowohl die Erkenntniss des Besonderen, und
zwar wesentlicher Weise, nicht allein um des Allgemeinen und um
des Gesetzes willen, das man etwa aus dem Besonderen abzieht,
zum Zweck hat; bei aller Erkenntniss des Besonderen, die ihren
ganz eigenthümlichen Werth und Reiz hat, dient das Allgemeine
selber als Mittel der Auffassung, indem es die Formen bietet, in die
Jenes aufgenommen wird. Immer aber ist für die Wissenschaft,
sei sie nun empirische oder speculative, der Gegenstand gegeben,
bald im Reich des Sinnlichen, bald im Uebersinnlichen; die Wissen-
schaft macht die Sachen nicht, sondern erkennt sie; der Dichter
aber, sofern er dichtet, macht die Dinge, die er anschaut und aus-
spricht. —- Mit dem Satz, der sich an W. von Humboldt an-
lehnt, „dass das Wort nicht bloss ein Vehikel oder Aus-
drucksmittel des für sich fertigen Gedankens, sondern seine Selbst-
 
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