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1fr· 38. HEIDELBERGER 1871.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Karoline. Briefe an ihre Geschwister, ihre Tochter Auguste, die
Familie Gotter, F. L. W. Meyer, A. W. lind Fr. Schlegel,
J. Schelling. Herausgegeben von G. Waitz. Leipzig. Hirzel
1871. 2 Bde.
Die Korrespondenzen »Karolinens« gehören zu den wichtigsten
Beiträgen für die Geschichte dei’ neueren deutschen Literatur. Das
Zusammenwirken Goethe’s und Schiller’s, die verdrängenden Ein-
flüsse der Romantiker und der Naturphilosophen, des A. W. und
F. Schlegel, Schelling, Steffens u. A. m., das vielgeschäftige und
bedeutende literarische Treiben, das gegen Ende des vergangenen
und zu Beginn dieses Jahrhunderts sich in Jena koncentrirte: wei'
hätte das Alles besser schildern, wer hätte in Mitten der sich be-
streitenden Elemente mit solch’ kritischer Schärfe und Entschieden-
heit urtheilen können, als Karoline Böhmer? die ehemalige Freun-
din Forster’s und Huber’s, die Gemahlin von A. W. Schlegel und
von Schelling, die vielumhergeworfene Frau, welche, wie der Her-
ausgeber der vorliegenden Briefe treffend bemerkt, »in wechseln-
den Verhältnissen wohl manchmal in die Irre ging, sich aber zu
immer grösserer Klarheit durcharbeitete, in Verbindung mit her-
vorragenden Männern eine seltene Bildung des Geistes erreichte
und auf mehr als Einen wieder anregend und fördernd einwirkte.«
Unzweifelhaft begegnen wir in Karolinen einer selten begabten
Persönlichkeit, einer von den fest in sich geschlossenen Naturen,
die man um ihrer Eigenart willen ganz oder gar nicht lieben muss,
die gewaltig anziehn und das Herz im Mittelpunkt treffen, aber
auch ebenso mächtig abstossen und verwunden können. Wie sie
einen Goethe, einen Schelling angezogen bat, so hat sie auf Schiller,
auf Friedrich Schlegel abstossend gewirkt. Die Selbstständigkeit
und Schärfe ihres Kunsturtheils streift an Einseitigkeit und Unge-
rechtigkeit, sobald sie die Leistungen der Männer würdigen soll,
die ihr nicht kongenial sind. So begeistert sie die geringsten Pro-
dukte der Goethe’schen Muse bewundert, so missgünstig urtheilt
sie über die Schiller’schen Werke. Ueber Wallenstein’s Lager be-
merkt Karoline [I, 217]: »Schiller hat doch in Jahren zu Stande
gebracht, was Goethe vielleicht, die Studien abgerechnet, in einem
Nachmittage hätte geschrieben, und das will immer viel sagen.
Er hat sich (dies kommt von Schlegel) dem Teufel ergeben um
den Realisten zu machen und sich die Sentimentalität vom Leibe
zü halten.« Uebei· den Wallenstein schreibt sie an Luise Gotter
[I, 253]: »Wir haben in Weimar endlich den Wallenstein ums
LXIV. Jahrg. 8. Heft , 38
 
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