Nr. 45. HEIDELBERGER 1871.
Kritisch - philosophische Untersuchungen von Dr. Richard Quä-
b ich er. I. Heft. Kant’s und Herbart’s metaphysische Grund-
ansichten über das Wesen der Seele.
Die uns hier vorliegenden Untersuchungen sind ein dankens-
werter kritischer und historischer Beitrag zur Feststellung des
Grundbegriffs der psychologischen Wissenschaft, zum Begriffe der
Seele. Es ist in der That bedauernswert, dass die modernen
Psychologen, die nach empirischer Seite hin so viel bearbeitens-
wertes Material vorfinden, und in Rücksicht auf dieses aufgefor-
dert sind diesen Stoff zugleich durch eine correkte psychologische
Gesammtanschauung zu verwerthen, dennoch nicht bis heute da-
hin gelangt sind die richtige Basis zu einer solchen Gesammt-
anschauung zu construiren. Noch immer fallen unsere Blicke, so-
bald wir sie der psychologischen Wissenschaft zuwenden, auf
Streitigkeiten über den Fundamentalbegriff derselben — die Seele.
Wir wollen gern anerkennen, dass die seither geführten Streitig-
keiten über die richtige Anschauung des Seelenbegriffs immer-
hin einige Früchte getragen haben; aber das werden wir dennoch
nicht umhin können einzugestehen, dass noch mancherlei Arbeiten
erforderlich sind, um hier nach allen Seiten hin Luft und Licht
zu schaffen. Der uns hier gebotene Beitrag zu der Frage über die
Anschauung der Seele nimmt einen glücklichen Anlauf von histo-
rischer Seite aus das Feld etwas zu ebnen. Der Verfasser ver-
sucht es zu diesem Zweck die Grundanschauuugen zweier unserer
bedeutendsten Philosophen über die Seele genauer zu kritisiren.
Ganz richtig hat der Verf. erkannt, dass sich nur dann eine mög-
lichste Klarheit über den Seelenbegriff gewinnen lasse, wenn wir
in Rücksicht auf die heute sich am meisten über diesen Gegen-
stand bekämpfenden Partheien geschichtlich zurückgehen auf die
Basis, auf welcher diese gegeneinander Position nehmen. Hier nun
ist es unzweifelhaft, dass die Anhänger der kantischen Skepsis,
(und zu ihr zählen theilweise Spiritualisten wie Materialisten) und
andererseits die heute leider zugleich etwas orthodox auftretenden
Kämpfer der herbartischen Schule, vorzugsweise dazu beitragen,
dass die ruhig denkenden Forscher zu keiner Einigung ihrer An-
sichten über den Begriff der Seele gelangen können.
Der Verf. wendet sich nun zuerst zu einer Kritik der Ansichten
Kants und versucht es zu zeigen, wie wenig Berechtigung vorliegt
Alles das wissenschaftlich aufrecht zu erhalten, was Kant in skep-
tischer Beziehung gegen die rationale Psychologie und die durch
LXIV. Jahrg. 9. Heft. 45
Kritisch - philosophische Untersuchungen von Dr. Richard Quä-
b ich er. I. Heft. Kant’s und Herbart’s metaphysische Grund-
ansichten über das Wesen der Seele.
Die uns hier vorliegenden Untersuchungen sind ein dankens-
werter kritischer und historischer Beitrag zur Feststellung des
Grundbegriffs der psychologischen Wissenschaft, zum Begriffe der
Seele. Es ist in der That bedauernswert, dass die modernen
Psychologen, die nach empirischer Seite hin so viel bearbeitens-
wertes Material vorfinden, und in Rücksicht auf dieses aufgefor-
dert sind diesen Stoff zugleich durch eine correkte psychologische
Gesammtanschauung zu verwerthen, dennoch nicht bis heute da-
hin gelangt sind die richtige Basis zu einer solchen Gesammt-
anschauung zu construiren. Noch immer fallen unsere Blicke, so-
bald wir sie der psychologischen Wissenschaft zuwenden, auf
Streitigkeiten über den Fundamentalbegriff derselben — die Seele.
Wir wollen gern anerkennen, dass die seither geführten Streitig-
keiten über die richtige Anschauung des Seelenbegriffs immer-
hin einige Früchte getragen haben; aber das werden wir dennoch
nicht umhin können einzugestehen, dass noch mancherlei Arbeiten
erforderlich sind, um hier nach allen Seiten hin Luft und Licht
zu schaffen. Der uns hier gebotene Beitrag zu der Frage über die
Anschauung der Seele nimmt einen glücklichen Anlauf von histo-
rischer Seite aus das Feld etwas zu ebnen. Der Verfasser ver-
sucht es zu diesem Zweck die Grundanschauuugen zweier unserer
bedeutendsten Philosophen über die Seele genauer zu kritisiren.
Ganz richtig hat der Verf. erkannt, dass sich nur dann eine mög-
lichste Klarheit über den Seelenbegriff gewinnen lasse, wenn wir
in Rücksicht auf die heute sich am meisten über diesen Gegen-
stand bekämpfenden Partheien geschichtlich zurückgehen auf die
Basis, auf welcher diese gegeneinander Position nehmen. Hier nun
ist es unzweifelhaft, dass die Anhänger der kantischen Skepsis,
(und zu ihr zählen theilweise Spiritualisten wie Materialisten) und
andererseits die heute leider zugleich etwas orthodox auftretenden
Kämpfer der herbartischen Schule, vorzugsweise dazu beitragen,
dass die ruhig denkenden Forscher zu keiner Einigung ihrer An-
sichten über den Begriff der Seele gelangen können.
Der Verf. wendet sich nun zuerst zu einer Kritik der Ansichten
Kants und versucht es zu zeigen, wie wenig Berechtigung vorliegt
Alles das wissenschaftlich aufrecht zu erhalten, was Kant in skep-
tischer Beziehung gegen die rationale Psychologie und die durch
LXIV. Jahrg. 9. Heft. 45