Nr. 42. HEIDELBERGER 1871.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
La Novellaja Fiorentina, cioe Fiale e Novelline slenografate in Fi-
renze dal detaito popolare e corredale di qualche noterella
da Vittorio Imbriani. Napoli. Tipografta Napoletana.
MDCCCLXX1.
Es ist nicht lange her, dass ich an dieser Stelle (1871 S. 545 ff.)
die von Imbriani und Casetti herausgegebene vortreffliche Volks-
liedersammlung der süditalienischen Provinzen einer eingehenden
Besprechung unterzogen, und bereits wieder gibt ersterer Gelehrte
eine willkommene Veranlassung die Thätigkeit anzuerkennen, die
er der Pflege der »Volkskunde« (Folk-lore) scheint zuwenden zu
wollen. Der vorliegende Band enthält eine Sammlung von 33
Märchen, die, wie aus dem Titel erhellt, Imbriani zu Florenz aus
dem Volksmunde niedergeschrieben und zuerst während der Sommer-
monate des gegenwärtigen Jahres in der Neapel’schen Zeitung »La
Nuova Patria« bekannt gemacht, dann aber in 150 Sonderabzügen
auch dem grössern Publikum zugänglich gemacht hat. Es ist sehr
erfreulich, die bisher im Vergleich mit andern Völkern nicht sehr
reiche Literatur der italienischen Volksmärchen in der letzten Zeit
zum Gegenstand eifriger Nachforschung gemacht zu sehen, und
auch in der vorliegenden »Florentinischen Märchenmuhme« eine
italienische »Frau Viehmännin« willkommen heissen zu können.
Imbriani hat es sich angelegen sein lassen, das ihm Erzählte »ste-
nographisch« aufzuzeichnen in der augenscheinlichen, nur zu billi-
genden Absicht, damit lediglich das wirklich im Volksmunde Vor-
handene ohne alle fremde Zuthat wiedergegeben werde. Allerdings
entspringt aus dieser unveränderten Wiedergabe des Vernommenen
eine gewisse auf die Dauer ermüdende Unbeholfenheit der Erzäh-
lung, wie sie meist dem Volke eigen ist und welche durch eine
leichte, mit vorsichtiger Hand geübte Nachhülfe, wie sie in un-
übertroffener Weise in den Grimm’schen Märchen in Anwendung
gebracht ist, hätte beseitigt werden können, ohne dass die Treue
der Darstellung irgend welchen Abbruch zu erleiden brauchte.
Andererseits wird Dem, welcher die eigentliche florentinische
Volkssprache genau kennen lernen will, allerdings durch wortge-
naue Aufzeichnung einer so grossen Zahl von Erzählungen ein um-
fangreiches Object zum Studium jenes Dialects geboten, so dass
der berührte Nachtheil durch diesen Vortheil wieder aufgewogen
wird. Was nun den Inhalt der hier gebotenen Märchen betrifft,
so will ich auf eine specielle Darstellung der Geschichte und Ver-
breitung eines jeden derselben an dieser Stelle nicht eingehen, son-
LXIV. Jahrg. 9. Bef: 42
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
La Novellaja Fiorentina, cioe Fiale e Novelline slenografate in Fi-
renze dal detaito popolare e corredale di qualche noterella
da Vittorio Imbriani. Napoli. Tipografta Napoletana.
MDCCCLXX1.
Es ist nicht lange her, dass ich an dieser Stelle (1871 S. 545 ff.)
die von Imbriani und Casetti herausgegebene vortreffliche Volks-
liedersammlung der süditalienischen Provinzen einer eingehenden
Besprechung unterzogen, und bereits wieder gibt ersterer Gelehrte
eine willkommene Veranlassung die Thätigkeit anzuerkennen, die
er der Pflege der »Volkskunde« (Folk-lore) scheint zuwenden zu
wollen. Der vorliegende Band enthält eine Sammlung von 33
Märchen, die, wie aus dem Titel erhellt, Imbriani zu Florenz aus
dem Volksmunde niedergeschrieben und zuerst während der Sommer-
monate des gegenwärtigen Jahres in der Neapel’schen Zeitung »La
Nuova Patria« bekannt gemacht, dann aber in 150 Sonderabzügen
auch dem grössern Publikum zugänglich gemacht hat. Es ist sehr
erfreulich, die bisher im Vergleich mit andern Völkern nicht sehr
reiche Literatur der italienischen Volksmärchen in der letzten Zeit
zum Gegenstand eifriger Nachforschung gemacht zu sehen, und
auch in der vorliegenden »Florentinischen Märchenmuhme« eine
italienische »Frau Viehmännin« willkommen heissen zu können.
Imbriani hat es sich angelegen sein lassen, das ihm Erzählte »ste-
nographisch« aufzuzeichnen in der augenscheinlichen, nur zu billi-
genden Absicht, damit lediglich das wirklich im Volksmunde Vor-
handene ohne alle fremde Zuthat wiedergegeben werde. Allerdings
entspringt aus dieser unveränderten Wiedergabe des Vernommenen
eine gewisse auf die Dauer ermüdende Unbeholfenheit der Erzäh-
lung, wie sie meist dem Volke eigen ist und welche durch eine
leichte, mit vorsichtiger Hand geübte Nachhülfe, wie sie in un-
übertroffener Weise in den Grimm’schen Märchen in Anwendung
gebracht ist, hätte beseitigt werden können, ohne dass die Treue
der Darstellung irgend welchen Abbruch zu erleiden brauchte.
Andererseits wird Dem, welcher die eigentliche florentinische
Volkssprache genau kennen lernen will, allerdings durch wortge-
naue Aufzeichnung einer so grossen Zahl von Erzählungen ein um-
fangreiches Object zum Studium jenes Dialects geboten, so dass
der berührte Nachtheil durch diesen Vortheil wieder aufgewogen
wird. Was nun den Inhalt der hier gebotenen Märchen betrifft,
so will ich auf eine specielle Darstellung der Geschichte und Ver-
breitung eines jeden derselben an dieser Stelle nicht eingehen, son-
LXIV. Jahrg. 9. Bef: 42