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Wr. 9. HEIDELBERGER 1872.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Die Tanzkunst des Euripides von Her mann Buchh oltz. Leipzig,
B. G. Teubner 1871. 8. X und 191 S.
»Die einzelnen Figuren und Schritte der griechischen Tänze
uns wider (sic) ins Leben zu rufen und vorzustellen, scheint wohl
fast unmöglich«, sagt der Herr Verfasser S. 99. Also keine Furcht
vor zu grosser Anstrengung, wenn er an die Philologen die Forde-
rung stellt, dass sie sich nicht mit dem Scandiren der alten Chor-
gesänge begnügen, sondern dieselben, wenn auch nur in Gedanken
oder auf dem Papiere, tanzen sollen. Versuchen wir es also mit
ihm. Wir versichern zugleich im voraus, dass diejenigen Leser,
die an diesen Tanzübungen, an den verschiedenen Schleifschritten
und Stampftritten Antheil nehmen wollen, sich dabei ebenso wenig
etwas zu Leide thun werden, als zur Zeit der Heidelberger Philo-
logenversammlung die in der Werkstatt des weiland badischen
Geniecorps angefertigten Bailisten und Catapulten den Dächern der
Stadt Heidelberg irgend einen Schaden zugefügt haben.
Die Forderung des Herrn Verf. ist sehr natürlich. Denn da
bei der Ausführung der alten Cborgesänge Musik, Metrik und Tanz
zusammen wirkten, die Musik jedoch gänzlich verloren ist, und bei
den Metren keineswegs auf die Infallibilität der Ueberlieferung zu
trauen ist, so wäre es denkbar, dass uns vom Tanze her, wenn
wir nur zu einigen sicheren Ergebnissen gelangen könnten, eine
unverhoffte Hilfe geboten würde. Denn der Tanz folgt seinen eige-
nen Gesetzen, denen sich Musik und Rhythmus fügen müssen, wenn
sie vereint gehen sollen, und könnte uns leicht manchen Wink
geben, besonders wenn man annehmen darf, dass im Allgemeinen
auf je Eine Silbe Ein Ton und Eine Tanzbewegung gekommen ist.
Um ein Beispiel der Unterordnung der Musik unter den Tanz aus
unserer Zeit anzuführen, so ist es zwar ein musikalisches Gesetz,
dass der Tact in einem einzelnen Musikstücke nicht geändert wer-
den darf, und Beethoven lässt in der einen seiner Fidelioouverturen
das Trompetensignal, welches die Ankunft des Befreiers ankündigt,
ohne Veränderung des Tactes erschallen. In der Cachucha dagegen,
wo die Tänzerin zuerst durch die mannigfaltigsten Schritte und
Körperbewegungen die Reize ihrer Büste von allen Seiten und in
jeder Pose gezeigt hat, thut sie plötzlich zwei starke Tritte mit
dem rechten und linken Fusse, als wollte sie sagen: So bin ich!
Wer wagt es, den Zauber meiner Gestalt und Bewegung zu leug-
nen! Während nun der übrige Theil der Cachucha im 8/i Tact
sich bewegt, sind diese zwei Tritte durch zwei */s Noten bezeichnet,
LXV. Jahrg. 2. Heft. 9
 
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