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Hr. 20. HEIDELBERGER 1872.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Lindau: Moliere.

(Schluss.)
Im Amphitryon zeigt er den König als den leichtsinnigen
und genusssüchtigen Lebemann, der seine Allgewalt zur Befriedi-
gung seiner Sinnlichkeit missbraucht, und beruft sich dabei auf
die Umstände, wie sie waren, als das Lustspiel entstand. Es war
um die Zeit als der grosse König der Reize der schönen La Val-
liöre überdrüssig geworden war, und der nicht minder schönen
Marquise von Montespan seine Gunst zugewandt hatte.
So haben die Beziehungen, welche der Verfasser darzulegen
versteht, zwei Gruppen von Lustspielen, jene vorgenannten, worin
sich des Dichters persönliche Verhältnisse widerspiegeln, und diese,
welche, aus der Zeit begriffen, dieser einen Spiegel der Selbster-
kenntniss vor die Augen halten. Aus der doppelten Richtung, die
der Verfasser hiernach dem Misanthrop zuschreibt, ist also auf die
Bedeutsamkeit dieses Lustspiels für Moliöre’s Rang in der Literatur
des französischen Lustspiels zu schliessen.
Darauf bedacht, kleinere Stücke, welche zwischen den grossen
Werken entstanden, von seiner diesseitigen Berücksichtigung aus-
zuschliessen, findet er eine letzte namhafte Ausbeute in dem letz-
ten Lustspiel Le malade imaginaire. In der That gibt es Gelegen-
heit, noch einmal Moliere aus einer persönlichen Eigenheit zu stu-
diren, die, wiewohl die Spitze des Angriffs dem verkehrten Glauben
an die Medicin und die Aerzte gilt, das Lustspiel nicht weniger
als eine persönliche Angelegenheit erscheinen lässt.
Wiewohl wir nach dem bisher Dargelegten den grossen Ge-
sichtspunkten unseren Beifall nicht versagen durften, gibt es einige
Punkte, wo wir der Kühnheit des Interpreten als solcher nicht
geradezu beistimmen. Der proqdetische Hinweis auf die Revolution,
welche der steinerne Gast bedeuten soll, der den Don Juan von der
wohlbesetzten Tafel und in die Nacht des Verderbens abruft,
ist, wie glänzend diese Deutung auch erscheint, doch bedenklich.
Wenn der Don Juan um ein ganzes Jahrhundert später gedichtet
und aufgeführt worden wäre, müsste diese Deutung sehr schätzens-
werth genannt werden. Dieses Gewicht geht auch für den letzten Aus-
druck, den der Menschenfeind braucht, und worauf der Verfasser
aufmerksam macht, für den Ausdruck Freiheit aus dem gleichen
Grunde verloren.
LXV. Jahrg. 4. lieft.

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