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Nr. 5. HEIDELBERGER 1872.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Schmidt: Das Volksleben der Neugriechen.

(Schluss.)
Es hängt diess Alles freilich zusammen mit den Vorstellungen von
der Unterwelt, welche daher auch den Schlussstein der ganzen in diesem
fünften Abschnitt gegebenen Erörterung bilden. Noch jetzt kommt
in Volksliedern insbesondere der Name Αδης vor, die gewöhnliche
Bezeichnung der Unterwelt ist ό κάτω κόσμος, mitunter auch η
κάτω γή, und wird die Unterwelt als ein abgeschlossenes Reich
tief im Innern der Erde gedacht (S. 236); hier kommt selbst die
Vorstellung von einem sie begränzenden grossen Strome vor, wel-
chen die Seelen der Abgeschiedenen zu überschreiten haben: und
hier kommt wiederum der alte Charon als Fährmann vor, sowie
das den Todten für denselben mitgegebene Fährgeld: die aus dem
heutigen Griechenland beigebrachten Belege zeigen unwidersprecb-
lich, wie die alte Sitte, dem Verstorbenen ein Geldstück in den
Mund zu legen, welches eben so jetzt noch als Ueberfahrtsgeld
(περατΰαον') bezeichnet wird, noch heute an verschiedenen Orten
fortlebt. Wir beschränken uns auf diesen einzigen Punkt, und
übergehen Vieles Andere, was noch weiter hier angeführt wird über
die Auffassung des Hades, was unwillkürlich an altgriechische, ins-
besondere homerische Vorstellungen erinnert und zugleich die zähe
Natur des hellenischen Volkslebens zeigt, in welchem, aller christ-
lichen Umgestaltung ungeachtet, diess sich noch erhalten hat. Und
so kommen wir unwillkürlich zu der schon am Anfang unseres Be-
richtes aufgestellten Behauptung zurück, wie die zahlreichen und
mannigfachen Belege, welche dieses Werk aus dem Volksleben der
jetzigen Griechen vorlegt, nur zur Erhärtung des Satzes dienen,
dass das jetzige Griechenthum keineswegs nur als Slaventhum auf-
zufassen sei, wohl aber das letztere, da wo es eingedrungen, in
jenem aufgegangen sei: Sitten und Leben des Volkes, sein religiö-
ser Glaube wie seine Sprache liefert das sicherste Zeugniss, wenn
es bei vorurtheilsfreier Forschung überhaupt noch eines solchen
bedürfte, dass in den Nachkommen der alten Hellenen sich noch
so Vieles erhalten bat, was aus dem Alterthum stammt, und trotz
alles Wandels der Zeiten unverändert geblieben ist, mithin für die
Fortdauer des Volkes ein lebendiges Zeugniss ablegen kann.
Wir schliessen damit unsern Bericht über ein Werk, von des-
sen reichem Detail nur Weniges im Ganzen hier erwähnt werden
LXV.Jahrg, 1. Heft. 5
 
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