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Nr. 12. HEIDELBERGER 1872.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Schuppe: Das menschliche Denken.

(Schluss.)
Will doch der Herr Verfasser selbst zuerst die »ganzen Denk-
erscheinungen« betrachtet wissen, um den Unterschied der Ele-
mente zu erkennen und durch Beobachtung die Gesetze zu fin-
den. Was thut er da anders, als dass er von der ganzen Denker-
scheinung die allgemeinenUnterschiede und die Gesetze abstrahirt?
Könnte man ihm da nicht den* Vorwurf zurückgeben, dass man
auch hier nach Abzug der Denkei scheinungen von ihrer Ganzheit
nicht mehr weiss, was übrig bleibt? Sind diese Unterschiede und
Gesetze etwa klarer, als die Lehren der formalen Logik ? Und wenn
der formalen Logik der Vorwurf gemacht wird, dass sie ungeach-
tet ihrer blossen Form zum Inhalte der Gedanken ihre Zuflucht
nehmen müsse, thut denn dieses nicht der Herr Verf. selbst bei
der Entwicklung seiner Unterschiede und Gesetze der Gedanken-
erscheinungen? Wenn man von dem Reiche der Sinnesempfindun-
gen abstrahirt, wie der Herr Verf. in seiner Auffassung der Logik
will, so habe, meint er, die Logik nur die »Bewegung, d. h. die
Gedanken erzeugenden Elemente in ihrem Wirken« darzustellen.
Gehört aber die Bewegung nicht auch in das Reich der Sinnes-
empfindungen? Wird sie nicht gesehen und durch das Gefühl
wahrgenommen? Ist nicht zuerst die innere Bewegung nachzu-
weisen, welche Gedanken erzeugen soll, und kann sie nacbgewiesen
werden ohne eine von Aussen wirkende Bewegung? Die formale
Logik hat seit Schleiermacher’s Dialektik eine andere Bedeutung
gewonnen, man hat sie nach einer vermittelnden Richtung der bloss for-
malen und bloss speculativen einseitigen Behandlung gegenüber ge-
stellt, wie dieses Ueberweg gethan hat, eine Richtung, welche jene
Wissenschaft zur Erkenntnisslehre macht, aber die mit der Meta-
physik identificirte Logik verwirft. Denken und Sein sind eben
so wenig absolut identisch, wie seit Schelling und Hegel behauptet
wird, als absolut entgegengesetzt; sie stehen in einer Parallele,
welche überall die auf die innere und äussere Erfahrung gegrün-
dete Logik nachzuweisen hat. v. Reichlin-Meldegg.

LXV. Jahrg. 3. Heft.

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