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Brodersen, Kai; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Wahn Welt Bild: die Sammlung Prinzhorn ; Beiträge zur Museumseröffnung — Berlin, Heidelberg [u.a.], 46.2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.4062#0025

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Der Dadaist Hugo Ball über die ,Büdnerei der Geisteskranken'

Helmuth Kiesel

Über die Rezeption von Prinzhorns,,Bildnerei der Geisteskranken' unter den
Künstlern seiner Zeit ist wenig bekannt. Eine einschlägige Dokumentation
oder Studie gibt es nicht, und vielleicht bliebe die Zahl der Dokumente beschei-
den. Bildende Künstler schreiben in der Regel nicht viel, und in den Schriften
und Briefen der großen Schriftsteller der zwanziger Jahre, bei Thomas Mann,
Alfred Döblin, Gottfried Benn usw., taucht der Name Prinzhorn - ausweislich
der Register - kaum einmal auf. In Benns Bibliothek, die im Deutschen Litera-
turarchiv Marbach komplett vorhanden ist, findet sich das Buch nicht. Weder
Benn noch Döblin haben die .Bildnerei der Geisteskranken' ausdrücklich in
ihre kunsttheoretischen Überlegungen mit einbezogen, obwohl sie beide,
bedingt schon durch ihre medizinische Ausbildung und ihre ärztliche Tätig-
keit, nachweislich ein starkes Interesse an den von Prinzhorn dokumentierten
und erörterten Phänomenen hatten. Um so erstaunlicher und bemerkenswer-
ter ist die Würdigung, die der Begründer des Dadaismus, Hugo Ball, der ,Bild-
nerei der Geisteskranken' bald nach ihrem Erscheinen zukommen ließ.

Hugo Ball wurde 1886 in Pirmasens geboren und starb 1927 in Sant Abbon-
dio im Tessin. Er war von herausragender Intelligenz und zugleich künstlerisch
mehrfach begabt. Nach dem Abitur studierte er in München und in Heidelberg
Philosophie, Soziologie und Literatur, fand dann aber Anschluss an progressive
künstlerische Kreise zunächst in München, dann in Berlin. Als 1914 der Krieg
ausbrach, meldete er sich als Freiwilliger, wurde aber wegen seiner schwäch-
lichen Konstitution abgelehnt und wandelte sich nach einem Besuch der
flandrischen Schlachtfelder und nach dem Tod einiger Künstlerfreunde zum
Kriegsgegner. Im Sommer 1915 emigrierte Ball in die Schweiz und lebte
zunächst als Klavierspieler eines Wander-Varietes. Am 5. Februar 1916 eröffnete
er in der Zürcher Spiegelgasse das .Cabaret Voltaire', in dem sich in den näch-
sten Monaten der Dadaismus herausbildete: eine Art von Poesie, die den Wahn-
sinn des Kriegs, den Verfall von Humanität und Kultur, durch eine Dekon-
struktion der Sprache spiegeln und konterkarieren wollte. Beispielhaft dafür
sind die Simultangedichte, in denen mehrere Stimmen durcheinanderreden, so
dass der Eindruck eines babylonischen Stimmengewirrs entsteht, und die von
 
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