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Brodersen, Kai; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Wahn Welt Bild: die Sammlung Prinzhorn ; Beiträge zur Museumseröffnung — Berlin, Heidelberg [u.a.], 46.2002

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4062#0079

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Simulation als Methode.

Brückenkonstruktionen zwischen Kunst und Wahn.

Das surrealistische Paradigma

Peter Gorsen

Zusammenfassung

Das Konzept, an der Wahnerfahrung verstehend teilzunehmen, sie
täuschend genau nachzuahmen, die Intention so vieler Künsder,
mehr als nur Pasticcios der Krankheitssymptome zustandezubrin-
gen, führte die grenzüberschreitende Moderne an einen kritischen
Punkt ihrer Entwicklung. Ist ein Dialog zwischen Vernunft und Irr-
sinn ohne Selbstverlust und Tragik für den Künsder möglich? Ist die
Geistesstörung literarisch und bildkünsderisch überhaupt einfühl-
und nachahmbar? Der französische Surrealismus hat die schon
gegenüber Hölderlins später Dichtung diskutierte „Verstehens-
grenze" angesichts einer immer durchlässiger werdenden Grenze
zwischen Kunst und Irrsinn mit dem Ziel ihrer Wertnivellierung
erneut thematisiert. Andre Breton und Paul Eluard haben in ihrem
gemeinsam geschriebenen Werk ,,L' Immaculee Conception" (1930)
fünf Simulationsversuche psychotischer Sprachstörungen unter-
nommen, für deren Symptomatik sie sich an Emil Kraepelins „Intro-
duction ä la psychiatrie" (1907) orientierten. Die pejorative, psycho-
pathologische Bedeutung der Simulation erfährt eine positive ästhe-
tische Umwertung durch die surrealistische Poesie, die von den
Protagonisten als ein überindividuelles, Gegensätze überbrückendes,
ganzheitiiches, nur vom psychischen Automatismus reguliertes Ver-
stehen programmiert ist. Sie glaubten, ein „gefährliches Buch"
geschrieben zu haben, dass in der Koinzidenz von simulierter und
wirklicher Sprachstörung sich jeder Kontrolle und Abänderung der
originalen Denk- und Sprachstörung und damit auch jeder Rückver-
sicherung durch Logik und Vernunft begibt. Der surrealistische
Simulationsversuch verwickelte sich in Widersprüche. Einerseits
sollen eine Verständigungsbrücke vom nachahmenden poetischen
 
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