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Brodersen, Kai; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Wahn Welt Bild: die Sammlung Prinzhorn ; Beiträge zur Museumseröffnung — Berlin, Heidelberg [u.a.], 46.2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.4062#0261

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Pathographie - historische Entwicklung, zentrale Dimensionen

Dietrich von Engelhardt

Zusammenfassung

Pathographie, ein Begriff aus der Zeit um 1900, hat in der Sache als
Beschreibung des kranken Menschen im Zusammenhang seines
Lebens und seiner Aktivitäten eine Tradition bis in die Antike. Ein
angemessenes Verständnis beruht auf der Behandlung einer Reihe
zentraler Dimensionen: Historie, Krankheitsgeschichte versus Kran-
kengeschichte, Ontologie der Krankheit, Kausalität der Beziehung,
Krankheit - Leben, Status des Kranken, Funktion der Medizin,
Gesellschaft - Kultur, Kunst und Literatur.

I. Kontext

Zeit ist eine wesentliche Kategorie des menschlichen Lebens wie der Medizin
in ihrer Theorie und Praxis. Der hippokratische Aphorismus „ars longa - vita
brevis" über die Länge der Kunst und die Kürze des Lebens besitzt Gültigkeit
für die Existenz des Menschen wie für die Wissenschaft. „Tempus est causa cor-
ruptionis" heißt es im Mittelalter bei Petrus Hispanus (1215-1277), dem einzigen
Arzt, der Papst wurde; die Zeit ist aber nicht nur Ursache des Verfalls, sondern
auch der Entstehung. „Time must have a stop", wird in William Shakespeares
Drama Heinrich IV. (1597) festgestellt. Der Mediziner Rudolf Virchow versteht
Krankheit neben Heterotopie und Heterometrie als Heterochronie, als Erschei-
nung zum falschen Zeitpunkt wie am falschen Ort und im falschen Maß. Mar-
tin Heidegger entfaltet in seinem Hauptwerk Sein und Zeit (1927) eine Analyse
des Todes, die nach ihm aller Biologie zugrunde liegt und vor allem bei Ärzten
Beachtung finden sollte. Der Suche nach der verlorenen Zeit (1913-27), die in
verschiedenen sinnlich-geistigen Erlebnissen wiedergefunden werden kann,
widmet Marcel Proust sein großes Werk. Uhr ohne Zeiger (1961) ist der Titel
eines Romans von Carson MacCullers, mit dem seinerseits an die zentrale Ein-
sicht der Medizin „mors certa, hora incerta" erinnert wird; der Tod ist sicher,
seine Stunde aber ungewiß.
 
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