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Brodersen, Kai; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Wahn Welt Bild: die Sammlung Prinzhorn ; Beiträge zur Museumseröffnung — Berlin, Heidelberg [u.a.], 46.2002

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4062#0376

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314 Gertraud Schottenloher

Resümee: Die Begegnung von Kunst, Psychiatrie und Therapie

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ließen sich Künstler durch die „Irrenkunst"
inspirieren. Der Dadaismus z. B. sah, wie erwähnt, in der „schöpferischen Psy-
chose" eine Möglichkeit zur Kulturerneuerung. Im Gegenzug wurde die Kunst
der Außenseiter aus ihrem Ghetto geholt und fand öffentliche Anerkennung.
Dubuffet gründete ein Museum für Art Brut, und es gab seither immer wieder
Ausstellungen von geisteskranken Künstlern in öffentlichen Institutionen. Ein
Meilenstein in dieser Geschichte ist die Sammlung Prinzhorn, die jetzt endlich
durch die Eröffnung eines Museums entsprechend gewürdigt wird.

Lang ist die Liste der Künstler, die sich Inspirationen und Ideen bei der Kunst
der Geisteskranken holten. Die Lage der Patienten jedoch hat sich dadurch kaum
geändert. Nur wenige von ihnen kamen in den Genuss der Verbesserungen, die
mit dieser Bewegung verbunden waren. Nur eine geringe Anzahl von Künstlern
unter ihnen, die „entdeckt" wurden, konnte davon ein wenig profitieren; aber
auch ihre Lebensbedingungen änderten sich dabei meist kaum, was sie oft als ver-
zweifelte Ausweglosigkeit erlebten. - Heute begeben sich Künstler in die Kliniken
zu den Patienten und setzen ihr Handwerk und ihr Wissen ein, um auch den
Nicht-Künstlern unter ihnen die inspirierende, belebende und heilende Wirkung
des künstlerischen Prozesses zu vermitteln. Im Zuge der allgemeinen Demo-
kratisierung wird so auch den Außenseitern, den Ausgeschlossenen, eine Form
der aktiven kulturellen Teilhabe ermöglicht.

Sollten sich daraus auch neue Aspekte für die Kunst ergeben? - „Indem die
Kunst zeigt, was sie für notleidende Menschen tun kann, erinnert sie uns
daran, was sie für jeden tun sollte", meint Rudolf Arnheim.37 Es ist seine Über-
zeugung, „dass es nicht nur völlig ungerechtfertigt ist, die Kunsttherapie als
ein Stiefkind der Künste zu behandeln, sondern dass man in ihr ein Vorbild
sehen kann, mit dessen Hilfe sich die Künste möglicherweise auf einen pro-
duktiveren Standpunkt zurückführen lassen. ... Die angewandten Künste -
und die Kunsttherapie ist eine angewandte Kunst - sollten durch ihr Beispiel
zeigen, dass die Künste, um ihre Wirkungskraft zu erhalten, wesentlichen
menschlichen Bedingungen dienen müssen. Diese Bedürfnisse treten bei
Kranken häufig deutlicher zutage, und deudicher ist auch die positive Wir-
kung, die die Künste auf kranke Menschen ausüben."38 Vielleicht wirkt aus
dem therapeutisch angewandten Bereich der Künste wieder etwas auf die
Kunst zurück und gibt ihr neue Impulse? Vielleicht folgt auf die erste klassi-
sche Anerkennung der Art Brut nun eine kulturelle Form, den anthropolo-
gisch erweiterten Kunstbegriff im sozialen Bereich zu verwirklichen? Denn:
„Es gilt, die freie Entfaltung aller Menschen zu ermöglichen.... Die Freiheit ist
der Wesenskern der Kreativität!"39

37 Arnheim, Rudolf: Neue Beiträge, DuMont Köln 1991, S. 329 ff.

38 Arnheim, Rudolf, a.a.O., S. 330.

39 Aus: Überleben durch Kunst. Eine Diskussionsmontage von W. M. Faust mit Beiträgen von J. Beuys, H.-J. Syberberg, A.
Hrdlicka u. a. In: Kunstforum 43,1981, S. 96.

Heidelberger Jahrbuch, Band XLVI:

T. Fuchs, I. Jadi, B. Brand-Claussen, Chr. Mundt (Hrsg.): Wahn Welt Bild

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2002
 
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