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Brodersen, Kai; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Wahn Welt Bild: die Sammlung Prinzhorn ; Beiträge zur Museumseröffnung — Berlin, Heidelberg [u.a.], 46.2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.4062#0419

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Kunst spielt eine Rolle 357

bezug. Ausdruck, Darstellung und Symbolisation zünden den referenziellen
Zyklus. Spiegelung, Antwort, Reziprozität in der Interaktion, das Setzen von
Erfahrungsgrenzen und das Halten gemeinsamer Aufmerksamkeit kenn-
zeichnen die interaktiven Prozesse. Im Selbstbezug erkennt das Kind, dass es
etwas kann, und noch darüber hinaus, dass es im Gestaltungsprozess es selbst
ist. Bewusste und unbewusste Prozesse wirken in kreativen Therapieverfahren
zusammen.

Symbolisation gelingt in Darstellung, Rolle und Tanz in der Theatertherapie.
Symbolisation gelingt im musikalischen Akt in der Musiktherapie. Symbolisa-
tion gelingt schließlich in Bild und Objekt in der Gestaltungstherapie und
inszeniert sich in der Interaktion mit einer verlässlichen Bezugsperson in Form
des Therapeuten. So kann einerseits spielerisch ein Symptom dargestellt, auf-
gegriffen und in Bilder gebracht werden. Ein solcher Prozess dient der Distan-
zierung und Bewältigung, mitunter auch der Begrenzung oder der Wendung
ins Komische. Andererseits ist ein wichtiges Element das Ausprobieren
komplementärer Rollen, anderer Befindlichkeiten, nie gekannter Emotionen.
Nicht nur die eigene Kümmernis soll in einer Nabelschau zum Gegenstand der
Darstellung werden, sondern auch das je Andere. Das Ängstliche kann sich in
Verwegenheit üben, das Laute im Leisen, das Kleine im Großen. Die Gefühls-
zustände werden schließlich dargestellt, neue Hoffnungen und neue Ziele
tauchen am Horizont auf. Es geht um ein „Spuren hinterlassen" - wie der Kom-
mentar einer Patientin lautete.

Resümee

In der Therapie mit Kindern und Jugendlichen ist die notwendige Vorausset-
zung aller anderen Interventionen die Gestaltung einer therapeutischen Bezie-
hung. Erst auf der Basis einer solchen Beziehung können angemessene Hilfsan-
gebote gemacht werden. Kreative Therapieverfahren dienen sowohl der Etablie-
rung und Ausgestaltung dieser therapeutischen Beziehung wie der Gestaltung
emotionaler Neuerfahrungen und der Klärung von konflikthaften Gefühlszu-
ständen. Nicht die Sprache ist das erste Mittel eines Zugangs zu sich selbst. Es ist
der kreative Akt, in den auch unbewusste Prozesse mit einfließen können. So
können kreative Therapieverfahren helfen, die Inkongruenz des Kindes zwi-
schen sich und einer negativ erlebten Umwelt aufzuheben. Und so wie Kreati-
vität die Synthese zwischen Expressivität und Impressivität erlaubt, hilft sie dem
Kind, eine emotionale Balance auf neuer Ebene zu erreichen.

Aus meiner intensiven Beschäftigung mit Rilkes Biographie ist mir sehr deut-
lich geworden, dass auch überspitzte Sensibilität nicht krank macht, wenn sie mit
Ausdrucksfähigkeit einhergeht. Eindrücke müssen ausgedrückt werden können;
dadurch bleiben die kommunikativen Bezüge erhalten, und die intentionale Sinn-
suche im Zwischenmenschlichen wird noch gefördert. Malen, Schreiben, Musizie-
ren, Schauspielen, Tanzen und Bildhauerei - das sind die Elemente, in denen vor
allem sensible und überempfindliche Menschen gefördert werden müssen. Die
Gratwanderung zwischen Genialität der Empfindung und Krankheit, auf der viele
 
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