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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 7 - Nr. 15 (1. Juli - 29. Juli)
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zu einen beſonders lohnenden Geſchicklichkeit hatte er
es nie gebracht und „ſeine Einnahmen entſprachen da-
her nur zu ſehr ſeiner ſrümperhafter Arboit. Er war
nur Flickſchuſter, der dem ein Paav Sohlen auf die
Stiefel nagelte, jenem das ſchadhafte Oberleder aus-

beſſerte, dieſer ein Paar Abſätze an die Pantoffel ſetzte.

Und oft hätte.er, wie der heilige Crispin, ſein Schutz-
patron, den Reichen das Lederaſtehlen mögen, um don
Armen nicht umſonſt, (denn wor wäre er mit ſeiner
Familie geblieben ) ſondern für Geld ein Paar Schuhe
daraus zu machen. Gab dem Pechvogel ein guter
Freund den Auftrag, er ſolle ihm neue Stiefel ma-
chen, ſothat dies dey ſanftgeſinnte Menſch nur ein-
mal in ſeinem-Leben, denn wollte der Unglückliche dos
Sonntags auf dem Kirchgange in der neuen Fußbeklei-
dung glänzen, ſo mußte er entweder nachunendlichem
O's und AÄch's ein Hühnerauge riskiren; oder mittelſt
eines Meſſers die⸗Seitennähte: auftreunen und ſo der

Herrlichkeit mit einem Male ein Ende machen. Mei-

ſter: Thoſtmann war der Freund aller Fußärzte und
Fußärztinnen, denen er durch ſeine ſchlechte Kuren am

Schuhwerke ſo manches arme Opfer in die⸗Hände lie-
ferte. Alſo was Wunder, wenn:z ſein Einkommen ſo

ſchlecht beſtellt war!: Bei! allerEmſigkeit, betrug ſein
Verdienſt nicht ſo viel, daß ſeinngenügſames Weib

damit ein kräftiges Mittagsmahl/ für ihren Eheherrn,

ſich und drei Kinder hätte beſtreiten können. Und den-
noch würde die Lage der armen Familie weniger be-

dauernswerth geweſen ſein, wenn ſich Meiſter Thoſt-
mann hätte entſchließen können, auf ſeine Pfeife Tabak

und den Schoppen Bier zu verzichten welche Artikel

er für unumgänglich nöthig zu aſeiner Exiſtenz; hielt
Aund denen er ſo manchen Groſchen des ſauer errunge-

nen Lohnes opferte. Es ziſt wahr, er quälte ſich Tag
And Nacht und die unſchuldige Erholung wäre ihm

wohl zu gönnen geweſen. Aber unter den gegenwär-

tigen Umſtänden hätte er die Männlichkeit beſitzen müſ-
ſen, auf derlei Dinge zu verzichten: und die Groſchen

dafür ſeiner darbenden Famüije zuzuwenden.
„Das älteſte von Thoſtmanns Kindern, ein Mäd-
chen von zehn Jahren war von ſeiner Geburt an

kränklich geweſen. Es war ein ſanftes, liebenswür-
diges Kind, der Günſtling von Allen im Hauſe; der
Augapfel des Vaters. Lieschen ſtieg die enge Treppe
zu-der Dachkammer hinan, in welcher letzterer arbei-

lete, ſetzte ſich ihm zu Füßen auft ein Fußbänkchen und
begann zu erzählen, daß dem entzückten Meiſter die
Stunden der Arbeit gleich einem Braume vorüberflogen

und er des Mangels, des niedrigen Stühchens, des

hellen Sonnenſcheins und der grünenden Bäume ſelbſt
dandraußen vor den Feuſtern vergaß und nur in ſei-
nes Kindes große, dunkle Augen blickte, die ein gei-
ſterhaftes Glänzen umſchimmerte, der Vorbote einer
anderen Welt. Die heiligen Geſchichten der Chriſten-
heit in den kräftigen, zum Herzen dringenden Worte
der Schriſt, die Mährchenwelt des deutſchen Bolks, Tha-
ten des Edelmuths und der: Begeiſterung entſtrömten

im bunten Gemiſch den bleichen Lippen des ſchönen
Kindes und die kleine, ruhige Dachkammer ward

der Tempek der.Uzütroſien Liebe Izwiſchen Vater und
Kind. ö
Rauſchten nicht die Palmen des Morgenländes
unſichtbar über dem Haupte des Mädchens, flrahlten
nicht die weißen Glanzgewänder der himmliſchen Boten
in den Erdenſtaub hinein, wenn es in klarer, feierlicher
Sprache erzählte von den-Wundern der geweihten Nacht,
von dem Herrn am See Genazareth, oder von Abra-
ham, da er das Meſſer erhob, den einzigen Sohn Je-
hovah zu opfern? Oft War Lieschen zu ſchwach, um
zu Füßen des Vaters en. Da
ſtreckt auf einem Kiſſen am Boden
Meiſter

Sonnenaugen zärt er
zwiſchen der Ar ſeinen Händen und ſeinem
Liebling theilte. Rur beim Vater bsfand ſich Lieschen
wohl und der arbeitete nie e ls wenn ſie in
das liebe Kind

ſeiner Nähe war.
Aber von Mondit 31
Heilmittel mehr
finden. Bläſſer

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mehr dahin und der Arzt konnte kein
für den kleinen, zerbrechlichen Leib finder
undbläſſer wurden⸗Lieschens Wangei, größer, bedeu-

tüngsvollerihre Augen und es überkam vorzüt

unteren Gliedmaßen eine⸗ſolché Schwäche, daß! ſie kaum

noch den Rumpf tragen konnten. Vermochtée ſie doch
ſelbſt nicht mehr⸗die Stufe zur Dachkammer des Vatsrs
zu erklimmen, um demſelben bei der Arbeit züzuſehen,
oder ihn mit! Geſchichten zu ergötzen. Dennoch aber
war die Kleine eben ſo oft bei ihm als zuvor. Dhoſt-
mannühatte einkleines Bett für ſie zurecht gemächt,
welches' einen geringen Raum des Zimmers einnahm

und hier lag le, indem ſie ihm wie früher erzählte

oder ihre Augen auf ihn heftete. Selten ſtieg er die
Stufen zür Dachkammer hinauf, ohné Lieschen in ſei-
nen Armen zu halten. Ihr Haupt lag dann gewöhn-
lich auf' ſeiner Schulter und ihre fieherheißen Wan-

gen berührten das Angeſicht: des unglücklich aters
Aund durchzuckten es mit unſäglichem Schmerz.
„So verſtrich die Zeit. Trotzaller Liebe, welche

der Meiſter für ſein krankes Kind: in ſeinem Herzen
fühlte, trotz alllrder Rückſicht, welche er ſeiner Jämilie
ſchüldig wär, gab er dennoch Tabäk und Bier nicht
auf und ſo verbrauchts er wöchentlich einen Theil ſei-
ner kleinen Einkün en er beſſer ſeinen Kindern
hütte zu Gute komme x
ſeiner Familie, außer ihm'allein, erfreuté ſich
eines Luxusartikels. Nicht einmal für Lieschens ſchwat
chen Appetit war hinreichend geſorgt. Die haar Gro-
ſchen, welche die Mutter empfing, nebſt dem Wenigen,
as ch Nähterei zu erſchwingen im Stande
eben nür hin zu einem kärglichen Mahle
wendigſten Bedeckung der Blöße ihret

en aber, die Ausgahen für Bier und
den Thoſtmann ruhig fortgeſetzt.
Gortſetzung folgt.) * *
 
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