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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 7 - Nr. 15 (1. Juli - 29. Juli)
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berichten zu müſſen, ſand man Saunderſons

in ſeinem Blute auf dem Wege nach —. Er hatte die
weuig beſuchte — Straße eingeſchlagen und dort von
der Hand eines oder mehrer Mörder, die bis jetzt völ-
lig unbekannt ſind, ſeinen Tod gefunden. Bei der

Unterſuchung der Leiche fand man, daß ihm nur eine

Wunde, und zwar vermuthlich durch den Stoß mit
einem ſcharfen Meſſer, beigebracht war. Dieſer Stoß

mußte mit großer Sicherheit geführt ſein, da er gerade
dem Unglücklichen ins Herz gedrungen war, und hatte

ihn wahrſcheinlich augenblicklich getödtet, ſo däß er
nicht um Hilfe rufen konnte. Der Mörder mußte
augenſcheinlich mit der Anatomie des menſchlichen Kör-
pers ſehr bekannt ſein. Wir brauchen nicht hinzufügen,
daß die beträchtliche Geldſumme von dem Mörder oder
den Mördern geraubt war. Das Merkwürdige bei
dem Umſtande iſt, daß das Verbrechen am lichten Tage
geſchah, und zwar an einem Manne, deſſen rieſenmäßige
Stärke, bei einem nicht ſo entſchieden tödtlichen Stoße,
mit Recht Furcht einflößen mußte. Dies hat denn all-
gemein zu der Vermuthung geführt, daß es der ſorg-
fältig berathene Plan mehr als eines Individuums
geweſen iſt. Da die näheren Umſtände des Mordes
bekannt und die Polizei eifrig mit ihren Nachforſchun-
gen beſchäftigt iſt, ſo ſieht man mit fieberhafter Span-
nung der Verhaftung der unmenſchlichen Mörder ent-
gegen. Den armen Saunderſon, der durch ſeine Ehr-
lichkeit und ſeinen Fleiß das unbedingte Vertrauen ſei-
ner Oberen erworben hatte und der einen ſo plötzlichen
und frühzeitigen Tod fand, beweinen eine Frau und
fünf Kinder. ö *
Am Dienſtag wird die Beſichtigung des Leichen-
beſchauers ſtattfinden, und dann darf man hoffen, daß
noch andere Umſtände an den Tag kommen werden.“
„Armer Saunderſon!“ rief ich ſeufzend, beinahe
unbewußt auss.
Mein Schmerzensausruf wurde erwidert von einem
tiefen, gedehnten, ſo dumpfen Tone, als wenn er aus
dem Grabe! hallte, und in demſelben ſprachen ſich ſolche
Leiden, ſolche Todesangſt aus, daß ich mein Auge auf
das Lager richtete, woher der Ton kam, in der vollen
Ueberzeugung, daß es die letzte Anſtrengung des Hin-
ſchmachtenden ſei. Zu meinem Schrecken aber gewahrte
ich Herrn Benfield aufrecht in ſeinem Bette ſitzen.
Seine wenigen grauen Haaren hingen wild über
ſeinem langen und ſchmachtenden Geſichte, ſeine tief-
liegenden Augen glänzten unter ſeinen dicht zuſam-
mengezogenen Brauen hervor, wie er mich ſtarr an-
blickte, mit mehr als irdiſcher Klarheit. 8——
W„Wahrlich, armer Saunderſon!“ rief der alte Mann
mit feierlichem Tone, „und warum machen Sie Ihrem
Herzen nicht Luft und verfluchen den grauſamen und
unbarmherzigen Mörder? Erblicken Sie ihn hier, mit
ſeinem von Reue zernagten Herzen und in dieſem ver-
welkten Leibe! Sie ſind nun im Beſitz des verhäng-
nißvollen Geheimniſſes, welches ſeit den letzten zwanzig
Jahren meines elenden Daſeins, den Gorgonen gleich,
von meinem Herzblut gezehrt hat. Ja, erblicken Sie
hier den bis dahin unentdeckten Mörder des unglück-

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eichnam

lihen Saunderſont“, Bei dieſen Worten bedectie er
ſein fahles Angeficht mit den krampfhaft ausgeſtreckten
Händen, heitze Thränen rannen darüber hin, lange
und tieſe Seufzer erfüllten das kleine Zimmer.
ö ö (Schluß folgt.)

Der eletzte Groſchen.
Povellete von A. V. ö
ey
Des Meiſters Gedanken waren plötzlich aus ihrem
bisherigen lethargiſchen Schlummer aufgeweckt worden.
Die Noth ſeines kranken Kindes hatte ſie zu einer ſonſt
ungewöhnlichen Regſamkeit aufgeſtachelt. Sie hämmerten
eine Zeit lang, gleich einem gefangenen Vogel, wider
das Drahtgitter der Nothwendigkeit und dann — ſanken
ſie wieder in ihre vorige Unthätigkeit zurück. ö
Die Stiefel waren vollendet. Nur der Gedanke an
den Tabak, den er für ſeinen letzten Groſchen ſich ein-
zukaufen gedachte, beſchäftigte noch des Meiſters Seele.
Er beſchloß, ſich auf den Weg zu machen. Als er ſo-
die Straße dahin wanderte, kam er an einem Waaren-
laden vorbei, in welchem allerlei Südfrüchte, beſonders
aber herrliche Apfelſinen zur Schau ausgeſtellt waren.
Da ſchoß ihm wieder der Gedanke an ſein krankes Kind
durch den Kopf. „Könnte ich ihm doch von dieſen
Süßigkeiten etwas mitbringen!“ ſagte er zu ſich ſelbſt.
„Das würde ſowohl Arznei als auch Nahrung für das
theure Kind ſein! Aber“ fügte er hinzu und ein tiefer
Seufzer begleitete ſeine Worte, „dazu find wir zu arm!
Dergleichen Leckereien ſind für die Kinder der Armuth
nicht vorhanden!“ ( —(—
Er ging weiter, bis er an das Bierhaus kam, in dem
er zugleich ſeinen Tabak kaufte. Auch heüte beſchloß er,

hier einzukehren und ſich das beliebte Kraut zu holen.

Zum enſten Male aber bewegte ſeinen Geiſt ein Ge-

danke von Selbſtverleugnung. Er ſtand an der ver-

hängnißvollen Thür, die Kupferdreier zuſammenſuchend.

„Für das Geld, was der Tabak koſtet, könnte ich Lies-
chen eine Apfelſine kaufen!“ ſagte er zu ſich ſelbft.

„Aber dann,“ fügte er ſogleich hinzu, würde ich heute
keine Pfeife rauchen können, auch morgen nicht; denn
die Stiefel hier bekomme ich vor Sonnabend nicht be-
zahlt; dann erhält ja Weber erſt ſeinen Lohn.“ ö
„Jetzt entſtand eine lange, bedenkliche Pauſe. Bald
tauchten vor ſeinem inneren Auge die zarten Züge des
kieblichen Geſichtes ſeines kranken Kindes auf, deſſen
brennende Lippen ſich an dem friſchen Safte der Apfel-
ſine labten, bald ſah er ſich ſelbſt matt und traurig am
Schemel ſitzend, die geliebte Pfeife entbehrend. „Aber,“
fragt ihr, „konnte er ſich wirklich auch nur einen Augen-
blick beſinnen, wenn er ſein Kind wahrhaft liebte? Ach,
habt Geduld mit dem ſchwachen Menſchenherzen! Er
liebte die kleine Leidträgerin mit all' der Zärtlichkeit,
deren ſeine Seele fähig war, und dennoch, dennoch rang
in ihm ein mächtiger Kampf zwiſchen Aelterntreue und
einer Gewohnheit, die ihm zur andern Natur, zum
halben Leben geworden war, der er nur mit Aufopferung
 
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