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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 16 - Nr. 24 (1. August - 29. August)
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Ksblatt.

Miittwoch, den 19. Auguſt 1866.

Nr. 21. 1. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer 2 2 kx. Man abonnirt in der Druckerei, Untereſtr. 9
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. *

„Seltene Fügungen.
Von M. Rofen.
— (Fortſetzung.)
Ein leiſes convulſiviſches Zucken gab zu erkennen,
was die arme Frau bei dieſer vertrauungsvollen Mit-
theilung in ſolcher Nähe empfand. Die heftigſten

Qualen mochten es ſein und nur der Gedanke, daß

dieſe Eröffnung ihr vielleicht zur Erreichung irgend

eines Hilfsmittels dienlich ſein könnte, eine innere

Stimme, die ſie mächtig in dieſem Augenblick vernahim,

bannte ſie an ihre Stelle und gab ihr Kraft, Nichts

zu überhören von dem, was er ſprach. Er fuhr fort:
—. „Sie ſprechen von Glück, von zerſtörtem Lebens-

glück, als wenn das das Erbtheil jedes Sterblichen

wäre, auf welches er mit Sicherheit zählen könne. Was

mit aller Kraft und Fähigkeit eines jungen, reichbe-
gabten Menſchen. Hatte ich es bis jetzt wohl gefun-

den? Iſt der flüchtige Rauſch der Sinne, ſind Stand

und Reichthum oder Geſundheit und Schönheit Glück

zu nennen? Können ſie zu Glück verhelfen? Fragen

Sie mich, der alles das beſaß, fragen Sie tauſend
Andere, und Sie werden die Antwoört vernehmen. Ich

hatte bereits die Hälfte des Lebens überſchritten: ich

hatte Alles gekannt, Alles gelernt, was ſich von Ge-
nüſſen einem Menſchen dardietet, der zu genießen ver-
ſteht. Das reiche Erbe meines Vaters war mir un-
ter den Händen geſchmolzen; Spiel und Weiber raub-
ten mir das letzte. Ich ward von Gläubigern ver-

folgt; der Name meines Vaters ſchützte mich nicht mehr

vor dem Schuldgefängniſſe. Da nahm ich den Namen

meines mütterlichen Oheims an, der ein geborener

Franzoſe war, und durchzog die Welt auf Abenteuer.
So verſtrichen noch' einige Jahre; ich ſah mich am
Ende meines Witzes; mir blieb nichts übrig als aus

der Welt zu gehen, die nichts mehr von mir wiſſen

wollte. Der Zufall — oder nennen Sie es im gläu-
bigen Sinne die Vorſehung — wollte es anders. Eine
flüchtige Bekanntſchaft mit einem Cavalier verſchaffte
mir die Einladung zu einer Jagdpartie. In der bit-
terſten Laune von der Welt nehme ich ſie an, ich weiß
ſelbſt nicht, wie ich dazu kam. Ich langte auf dem
Schloß an und fand einen Verein lebensfroher Cava-
liere, Pferde, Hunde, Gewehre bilden die Unterhal-

tung; ich langweile mich zum Ekel. Man zieht am

frühen Morgen aus, ich entferne mich von der Geſell-

man ladet mich zum Wiederkommen ein.

ſchaft und ſchlage philoſophirend einen ſtillen Waldzz
pfad ein. Müde werfe ich mich unter einen Baum
auf das Gras — plötzlich bricht es durch das Dickicht
— eine angeſchoſſene Sau raſ't an mir vorüber, —
erſchreckt raff' ich mich empor und ſende dem Unge-
heuer inſtinktmäßig meine Kugel nach. Sie fehlt ihr
Ziel, allein auf wenige Schritte ſtürzt ein ſcheues Pferd
von ihr getroffen nieder, welches mit einem ſchönen
Mädchen dem Abgrunde zueilte. Da ſehen Sie, in
was das Glück beſteht. Wäxe ich ein beſſerer Schütze
geweſen, ſo hätte ich das Schwein getroffen und mein
Glück würde mit ihm verendet haben.“ —

Madame Müller konnte ſich hier nicht eines ſchmerz-

lichen Ausrufs erwehren, der aus tiefer Bruſt kam.
Der unerhörte Frevel in dieſen Worten hatte ihre

Geduld erſchöpft. „Nicht weiter, verlaſſen Sie mich!“

ſagte ſie.
iſt Glück? in was beſteht es? Ich rannte ihm nach

„Nicht eher, als bis Sie Ales wiſſen,“ ſprach er.

mit ſchlau berechneter Ruhe; „nur dann werden Sie

unſere wechſelſeitige Stellung zu einander begreifen,
nur dann einſehen, daß die Lage nicht ſo verzweifelt
iſt, als Sie ſich nach Ihrer beſchränkten Anſchauungs-
weiſe vorſtellen. Ich bringe das gerettete Mädchen
nach Hauſe, ich werde mit Lob überhäuft, ich werde,
wie ein Rettungsengel aufgenommen. Ich gehe und
nan ä Inzwiſchen
erfahre ich, daß Cäcilie einſt von ihrem Vater eine
Million erben wird. Dies ſpornt mich an, alle alten
Künſte, von denen ich keinen Gebrauch mehr zu ma-
chen glaubte, anzuwenden, und es gelingt mir, das
Herz der kleinen Unbefangenen zu erobern. So erhellt
ſich plötzlich mein Horizont — meine Zukunft übergol-
det ſich — ſollte ich ihr nicht näher treten? Der Ro-

man meines Lebens gewinnt geſchichtliches Intereſſe

— das letzte Kapitel ſoll die Thatſache einer ſoliden
Heirath herbeiführen. Von Hinderniſſen iſt keine Rede.
Ein junger Couſin verhält ſich ruhig; ſein Geiſt iſt
nur für die Wirthſchaft thätig, ſein Herz iſt kalt. Eine
Duenna, die grade in der Stadt abweſend iſt, kann
mir keine Beſorgniß erregen, ſo denke ich; ich habe
mehr als eine Duenna mir bald günſtig zu ſtimmen
gewußt. Da erſcheint dieſe Duenna, die Erzieherin
Cäciliens, wie man mir ſie nennt — und ich bin er-
ſtaunt, als ich Sie erblicke.“ —
VIch war entſetzt, als ich Sie ſah,“ unterbrach

ihn Madame Müller; „doch nun genug dieſer Mitthei-

lungen — ich bitte Sie nochmals — verlaſſen Sie mich.“
Sie athmete leichter auf, als er ſich erhob und
 
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