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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 16 - Nr. 24 (1. August - 29. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43805#0087

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welchem die wildeſten Leidenſchaften ausgetobt. Herr
v. Berg glaubte ihren Worten nicht, er dachte im er-
ſten Augenblick, daß vielleicht von Georg dieſe Umſtim-
mung Cäciliens herrühre, und ſo ſehr er ſein Kind
liebte, ſo war er doch nicht geneigt, ihr hierin zu
willfahren. Er nannte ſie eine Thörin, eine Eigen-
ſinnige, die mit den heiligſten Gefühlen ſpielen wolle
und ihr Wort geben und entziehen zu können glaube,
je nachdem der Wind aus dieſer oder jener Himmels-
gend wehe.
„Ich habe andere Begriffe von der Heiligkeit eines
gegebenen Verſprechens“, ſprach er zürnend, „und ich
halte das meinige, welches der Graf von mir erhielt,
trotz aller Einflüſterung, die Dir durch die ſelbſtſüch-
tigen Abſichten einer andern Perſon gemacht ſein
könntennzz
Cäcilie erhob ſich verzweifelnd vom Boden, und

ſah ſich nach einem Beiſtande um, der nicht lange auf

ſich warten ließ. Madame Müller war leiſe eingetreten
und hatte dieſer Scene beigewohnt. Mit Feuer nahm
ſie ſich der Sache ihrer jungen Freundin an; ſie ſchil-
derte dem Vater die Gefahr: ſie erinnerte ihn an das
Verſprechen, welches er Cäcilie gegeben, daß er ſie
nicht zu einer Verbindung zwingen wollle.
Herr v. Berg wurde jetzt ruhiger; er ſah, daß
nicht Cäciliens Eigenſinn, noch Georgs Ueberredung
gegen den Vicomte ſich erhoben hatte; das Feuer, mit
welchem Madame Müller die Sache Cäciliens führte,
die innigſte Liebe, die ſich aus jedem ihrer Worte kund
gab, die Thränen der Tochter, dies alles wirkte zu-
ſammen und ſo beſtürmt gab endlich Herr v. Berg
nach und beſchloß, den Vicomte kommen zu laſſen, um
ihm in der ſchonendſten Form die drängende Eröffnung
zu machen. ̊ÿꝓꝓꝓyPD
Die Damen entfernten ſich. Cäcilie fiel ihrer
Freundin dankend um den Hals. Madame Müller.
ichwebte zwiſchen getheilten Gefühlen. Das Bewußt-

ſein erhob ſie, Cäcilie einer drohenden Gefahr ent-

riſſen zu haben, allein eine trübe Ahnung ſagte ihr,
daß ſie von des Vicomte Rache Alles befürchten müſſe.
Ihre Ahnung erfüllte ſich auf ſchreckliche Weiſe.
Nachdem Herr v. Verg dem Vicomte die veränderte
„Geſinnung ſeiner Tochter mitgetheilt und hieran die
Verſicherungen geknüpft hatte, welcher er einem Manne
von des Vicomte Rang und Bildung ſchuldig zu ſein
glaubte, ſagte dieſer: ——...—
„Ich verzeihe Ihnen ſowohl, wie ihrer Tochter,
was Sie thun. So ſchwer mich auch in dieſem Au-
genblick die Beleidigung trifft, ich will nicht daran denken,
ſie Ihnen zu erwiedern. Ich bin vor Allem Cavälier
und zu edel, um an einem ohnehin unglücklichen Greiſe,
an einem leichtfinnigen unzurechnungsfähigen Mädchen
Rache zu nehmen. Ich will aber meine Großmuth
ſelbſt noch weiter treiben, denn bevor ich Ihr Haus
verlaſſe, will ich aus Dankbarkeit für die Aufnahme,

guten Dienſt leiſten. Er betrifft eine Perſon, die in

Ihr Haus bringen werden.“

ö Altenberg in meinem

dieſem Augenblick Ihres Vertrauens ſich bemächtigt We

hat und deren gemeine Ränke noch großes Unglück über
„Und wer iſt dieſe Perſon?“ rief Herr v. Berg
dem frechen Ankläger faſt drohend entgegen.
„Sie verdeckt ihr intriguantes Spiel hinter fal-
ſchen Moralprinzipien, die ihr eben ſo fremd ſind, als
der Name, unter welchem ſie ſich in Ihr Haus geſtohlen
hat, das ſie jetzt despotiſch beherrſcht — dieſe Perſon,
die tugendhafte Erzieherin des Fräuleins Cäcilie v.
Berg, meiner geweſenen Braut, iſt Niemand anders
als die allzu berüchtigte Gräfin v. Altenberg, deren
ſchändlicher Ruf ſelbſt in Ihre Einſamkeit gedrungen
ſein muß.“
„Altenberg!“ ſchrie Herr v. Berg. „Die Gräfin
ö Hauſe?“ Er fiel ohnmächtig in
den Seſſel zurück. 1111 —
Der Vicomte verließ den Alten, deſſen Verzweiflung

ihm ganz unerklälich ſchien, er ſchickte den Kammer-

diener Simon, der im Vorzimmer wartete, zu ihm
hinein. Die Pferde waren angeſpannt und er fuhr in
das nachbarliche Schloß, um in dem heiteren Kreiſe der
Jagdgeſellſchaft die trüben Eindrücke, welche er empfan-
gen hatte los zu werden, und ſich dem Zufall von

Neuem zu überlaſſen.

Starr und unbeweglich ſaß Herr v. Berg noch in
ſeinem Seſſel; das bleiche Antlitz war das einem Tod-
ten. Der alte Simon war ſchoͤn mehrere Stunden bei
ihm, ohne daß er eine Antwort auf die verſchiedenen
Fragen erhalten hätte, welche er an ſeinen Herrn rich-
tete. Madame Müller und Cäcilie ließen ſich nicht

ſehen; es waren die letzten Worte, die er zu Simon

geſprochen, den Befehl, ſie nicht vorzulaſſen. Georg
erſchien dann und wann in dem Vorzimmer, öffnete
leiſe die Thüre, winkte Simon und fragte nach des

Onkels Befinden.

Mittermacht war vorüber. In der langen Fen-
ſterreihe des Hauſes ſah man noch hier und dort Lich-
ter durch die Vorhänge ſchimmern. Die Unglücklichen
ſchliefen nicht; ſie ſaßen da und ſtarrten mit rothge-
weinten Augen in die Kerzen. Draußen war es fin-
ſtere Nacht; ein ſchauriger Herbſtwind fuhr durch den
Wald, und die großen von der Kette gelöſten Hunde
ſtrichen allein im Park umher. Jetzt ſchoſſen ſie auf
etwas Weißes los, allein bald ſchmiegten ſie ſich we-
delnd an eine weißliche Geſtalt, die einſam in den
Gängen durch das raſchelnde Laub ſchwankte. Ein

dünnes, weißes Kleid, welches ſie umhüllte, wurde wie

zum Spott bald von den Winden, bald von den Sträu-
chern hin⸗ und hergeriſſen, aber ſie merkte nichts davon.
„Mein Loos iſt der Tod!“ ſprach die Frau zu
ſich ſelbſt, „ich darf hier nicht mehr bleihen. Ich muß
fort von meinem Kinde — und kann ihm nicht ſagen,
daß ich ſeine Mutter bin. Verlaſſe ich Dich jetzt meine
Tochter, und ſehe ich Dich auch niemals wieder, ſo

die Sie mir zu Theil werden ließen, Ihnen noch einen maltc nteiß den Tioß mit no. dich dem gröhten

Unglüch entriſſen zu haben, das Dich wohl je bedrohen
Sd folgtp)
 
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