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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 34 - Nr. 42 (3. Oktober - 31. Oktober)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43805#0147

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„Nun, dann kann der Direktor nicht darin ſein,

wenn man auch ſonſt glauben könnte, er habe ſich hin-
ein geflüchtet.“ — *
(Foriſetzung folgt.)

Die Lebensjahre.)
Im allerengſten Rahmen über die Lebensjahre des
Menſchen, über Leben und Tod zu ſchreiben, iſt mir
ats Aufgabe geworden. Des Menſchen irdiſch Leben
iſt eine Kette von Thaten und Leiden, die der Tod ab-
ſchließt, aber der Keim-eines himmliſchen Lebens wächſt
prangend aus dem Schlußringe des Todes, die Aufer-
ſtehung des Geiſtes folgt dem Untergange des Leibes;;
dies in das Prinzip der Chriſtusgeſchichte, ſo unbefrie-
digend für den Forſcher, wie die Löſungen, die uns

Strauß, Wislicenus und Renan zu geben verſucht ha-

ben. Ach, wer mir ſagen könnte, was das Leben iſt!
Das Auge der Seele ſchweift forſchend und fragend

umher, es ſieht, gleich einem im Sonnenlicht ſpielen-

den Schmetterlinge, der voll Luſt die ſchönſten Biüthen

umgaukelt, das harmloſe Kind, ſcherzend mit dem Fe-

derball ſeiner Jahre; es ſieht den Jungling und die
Jungfrau in des Daſeins roſigſten Empfindungen, keck
emporſtrebend zu den goldenen Höhen der Zutunft auf
Flügeln der Liebe und der Hoffnung, naſchend von den
ſüien Früchten der Zeit, ſorglos wie das Kind, aber
um visles näher dem dunklen Grabe; es ſieht den ern-
ſten Mann und das kältere, erfahrene Weib, nochekraft-

voll, äber herabgeſtimmt durch die Trübſale des Schaf-

fens und des Gebärens. Ihr Nacken trägt die ſtär-
kere Laſt der Jahre zwar mit Muth, aber mit der
Ruhe' der Reſignation und mit einem Blicke, der nicht
mehr wie bei den zwanzigjährigen im Feuer der him-
melſtürmenden Heffnung glüht; es ſitht den Greis und
die Greiſin, gebeugt durch Alter und Kummer, Ent-
duſchung, ſchwere Sorgen ſür die Aufgabe des Da-
ſeins. Das Leben iſt ſo kurz und dir Arbeit iſt ſo
riel! Rur wenige Schritte noch, dann kommt des Al-
ers Hinfälligkeit, des Lebens Ende, und ſtait der früh
gehofften goldenen Höhen harrt des Müden der ſchwarze
Algrund des Grabes, in den er faſt willenlos hinunter-
gezogen wird. Die Bürde des Daſeins iſt ihm zu

ſchwer, er iſt ſich ſelbſt zur Laſt geworden und er ſolgt

dem verhängnißvollen Zuge alles Sterblichen mit dem
letzten Hauche: „Das Leben iſt ein Traum; ich habe
ausgeträumt.“ ö
Cs iſt der gewaltige Schnitter „Tod“, welcher
über ihm in den Lüften ſchweht und deſſen Gebot wie
Eisluſt an ſein Herzetritt: „Dein Sand iſt abgelau-
ſen — gehe in's kalte Bett und ſchlafe wohl!“ Wie,
das ſollte das ganze Ende eines Meuſchenkebens ſein?
Bliebe von ihm wirklich nichts übrig, als das Häuf-
chen Staub, welches die Uhr des Todes abgeleiert?
Wer mir ſagen könnte, was der Tod iſt! Man-
cher Muſſensdurſſige würde für die Löſung des großen

Räthſels willig ſein Leben hingeben, denn er käme zu

einem ſchöneren Sein, wenn ihm die Gewißheit eines

*) Dem „Hausfreund“ entnommen.

ſolchen würde, oder er würfe dies irdiſche Leben mit
Verachtung von ſich, wenn der Tod ſein Ende wäre.
Wohl mancher ſchreibende Pfuſcher oder Zelot hat die
Menſchen mit Citaten gefüttert, denen ſie die hochtö-
nenden Titel: „Gedanken und Beweiſe über die Un-
ſterblichkeit“ beilegten, aber ſie waren zu ohumächtig
um das Dunkel zu durchbrechen, welches die Pforten:
des Todes bedeckt. Vergeblich ſuchen wir die Hand
des Wiſſens, die uns feſt hinüberleiten könnte in eine
lichtere Spähre des Lebens. Wir ſtehen und fragen.
und ſinnen und ſchauen, bis das Alter unſere Augen

darauf zu hoffen. K. T.

umflort und die bohrende Rraft unſeres Geiſtes ab-
ſtumpft — das Räthſel bleibt uns ungelöſt. Wir wiſ-
ſen nicht, ob endlich die ſeeliſche Eſſenz unſeres Lebens
emporſchwebt zum Lichte und Gluth eines Sternes, ob.
ſie hinabſteigt zum Feuer im Schoos der Erde, ob ſie
die Irdiſchen umſchwebt als ein lebenzeugendes Ele-
ment, ob unſer Heiſt nach dem Tode des Leibes ein
ſich bewußtes Individuum bleibt, oder übergeht in den
göttlichen Stoff einer neuen. Schöpfung volltkommenerer
Weſen. Es iſt unſerm eingeſchränktem Horizonte nicht
gegeben, außer Gott einen Geiſt ohne Materie zu den-
ken, aber es iſt uns ebenſo unmöglich, unſeren edleren
Inhalt ſelbſt zu entwürdigen durch den Glauben an
thieriſches Vergehen. Das unerforſchliche Weſen, wel-
ches wir im Gefühle unſerer Ohnmacht „Herr“ nennen,
kann den ſtrebenden Geiſt nicht in uns gelegt haben,
damit er verderbe im alltäglichen Haushalte der Natur.
Wie wäre es möglich, daß der Menſch, der ſo
Großes, Herrliches vermag, plötzlich herabſtiege zum
Schickſal der Monade, daß er degradirt würde zu dem
Wurme, den er im Leben mit Füßen trar, daß er in
dei vegetativen Oeconcmie zu einem thieriſch gemeinen
treibenden Stoffe würde, um den Magen der Ueber-
lebenden beſſer füllen zu können? Das feinſte Nerven-
arom, welches unſere Größten und Beſten göttlich ent-
zückt durch Geberde, Wort oder Blick, ſollte ſich im
Tode wandeln in widerlich dünſtende Aſche? Wir ſoll-
ten zur niedrigſten Urmaſſe werden für unſer ſtolzes,
frei bewußtes Streben, in kühnem Gedankenfluge. Dem

ähnlich zu werden, was wir das Höchſte, was wir
Gott nenneens ö
Dieſes unerforſchliche Weſen zeigt unſerm körper-
lichen Auge, daß Alles in der Natur ſich neu ver-
jüngt und zu Vollkommenerm geſtaltet — und die Men-
ſchen als die vollendetſten Glieder der Schöpfung ſoll-
ten allein das unſterbliche Geſetz Lügen ſtrafen?
Wenn das Grab Alles, Alles endete — wo bliebe
der Sinn für die unbegreifliche Vernichtung des Kin-
des, des ſtarken, ſorgenden Mannes, der treuen Mut-
ter, die mit brechendem Herzen auf ihre armen Klei-
nen ſchaut, des in Jammer hinſiechenden Greiſes; oder
für die Schonung des Schürken, welchen die defecte
Waage der menſchlichen Gerechtigkeit nicht zu leicht findete
Ob der Tod das letzte Reſultat unſeres Lebens iſt,
beweiſt uns kein Sterblicher; daß er es nicht ſein kann,
beweiſt ſchon die unauslöſchliche Fähigkeit unſeres Gei-
ſtes, nach unſerm künftigen Schickfal zu ſorſchen und
 
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