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warten; endlich aber sagte sie: „Damit ist es nichts,
ich und er haben nichts mehr mit einander!"
Der Müller dachte nicht an das, was die beiden
eigentlich getrennt hatte was wußte er von den
zarten Empfindungen seiner Tochter — ihn deuchte
das Wahrscheinlichste, daß die zwei entweder mit ein-
ander gestritten Hatteil oder sich überhaupt nicht mehr
mochten.
Bei ihren Worten war ein Seufzer von seinen
Lippen gekommen; er hätte ihr so gerne etwas zu
Willen machen mögen, um einen freundlichen Blick, ein
Lächeln dafür zu erlangen, lind nnn dieses verfehlt
war, wußte er nicht, was er sonst thnu könnte; so
bückte er sich wieder über feine Schiefertafel lind be-
gann von nenem zn rechnen. Da schrak er plötzlich
zusammen. Das Geräusch der feit einer Weile im Flur
hörbaren Schritte war ihm bisher entgangen, und nun
störte ihn plötzlich ein nachdrückliches Klopfen an der
Stubenthüre auf.
„Herein!" rief Dorothea und kehrte sich der Thür zu.
Ans der Schwelle erschien ein altes, gebückt gehendes
Weib.
„Ihr seid's, Ktnmpliese!" sagte Dorothea verwundert,
„ich denk', Ihr habt gesagt, daß Ihr den Winter über
nicht mehr kommen wollt!"
„Hab's auch nicht wollen, habt schon recht damit,
Jungfer Dorothe'!" entgegnete die Alte lind schleppte
sich mit ihrem Klumpfuße — voll diesem hatte sie die
Bezeichnung „Klumpliefe" erhalten - in die Stube
herein, „aber seht Ihr, der Winter dauert halt alle-
mal gar so lang, und da werden mir die Kreuzerlein
gar so wenig, wenn ich so lauge Zeit gar nichts ver-
dienen kann! So ein armes, altes Weibert wie ich,
das mit einem Fuß schon im Grab steht, braucht wohl
nicht viel, aber leb'n muß man doch! Und da hab'
ich mir denkt, machst noch einmal einen Rnndgang zn
deinen Kundschaften, vielleicht geht wieder ein wenig
Zwirn oder von die Knöpf' ab!"
Und damit ließ sich die Sprecherin ans der Bank
in nächster Nähe des Kachelofens nieder und preßte
ihre dürren, knochigen Finger an die heißen Kacheln,
nm sich zu erwärmen.
„Bleibt Ihr heut nacht da oder geht der Weg noch
weiter?" fragte Dorothea.
„Beileibe nicht, kann nicht dableiben! Muß noch
zum Wiesenbalier, uud beim Oberheider in der Lahn
bleib'ich erst! Nur ein wenig nusrasten thn' ich mich,
weun's ertaubt ist, und vielleicht braucht Ihr auch 'was
voll mir, Jungfer Dorothe'!"
Die Müllerstochter nickte.
„Wollen halt sehen, bevor Ihr geht, Liese! Mögt
wohl einen Schluck vom Kornenen, der Euch ein wenig
answärmt!" sagte sie und ging znm Schrank.
Als ein Gläschen, mit dem Branntwein gefüllt, neben
der Alten stand, sagte diese: „Ihr seid halt gilt zu
einem armen Weibert, unser Herrgott wird's Euch ge-
wißlich einmal vergelten!"
E>ie sah nicht, welch bitteres Lächeln in Dorotheas
Gesicht kam; ja, ja, der Herrgott! Kann denn der all
das Elend, das jetzt Dorotheas Herz drückt, von ihr
nehmen? Wenn er's könnt' oder möcht', ihr würe das
die beste Vergeltung, denkt die Müllerstochter, aber das
bleibt hängen an ihr all ihr Lebtag.
Unterdessen hatte die Liese einen Schluck aus dem
Gläschen gethan, und während sie es nun behutsam
ans die Bank zurückstellte, sagte sie: „Aber nicht wahr,
das ist ein Unglück bei den Thalergntsleuten — mit
dem Jörg, das?"
Des Bauern Kopf am Tische sank beinahe ganz,
auf die Schiefertafel herab und der Griffel fuhr schnell
uud knirschend dahin. Dorotheas Gesicht wurde starr,
während ihr Körper in heftiges Schwanken geriet, so
daß sie sich rasch ans die Bank, neben der sie stand,
niederlassen mußte, um nicht zn fallen.
Endlich ermannte sie sich so weit, um fragen zn
können: „Was — was foll's denn sein mit dem Jörg?"
Klumpliese gab sich eine wichtige Miene, nun sie
wußte, daß sie eine Neuigkeitsverkünderin sei, und er-
zählte jetzt des Langen uud Breiteu; wie der Jörg seit
vorgestern abends abgegangen, wie man fürchtete, es
sei ihm ein Unglück zngestoßen, und nach ihm suchte.
Heute früh habe mau ihn endlich gesunden — ein
ziemliches Stück unterhalb des Thalergutes, am Fluß-
rand, mit den Kleidern an einer Staude hängend —
ertrunken.
Tie Erzählerin in ihrem Feuereifer merkte gar
nicht, wie die zwei Zuhörer so gänzlich stumm dasaßen,
auch danu noch, als sie geendet.
Erst nach einer Längeren Panse sagte Dorothea
langsam:
„Ja, ja, ein schreckliches Unglück ist das!" und
dann setzte sie etwas rascher hinzu: „Und wenn Ihr
jetzt so gut wäret und brächtet Euren Kramkasten her-
ein in die Stube, möcht' ich mir 'was aussuchen!"
Eilsertip erhob sich die Alte und humpelte zur
Thüre, wobei sie meinte: „Ja, ja, ich muß so bald
wieder weiter, sonst überfällt mich die Nacht! Ist
nicht ratsam, im Finstern um einander zu gehn!"
Il! ustrirte W e l t.
Gleichzeitig stand auch der Müller auf, hing die
Tafel an die Wand uud ging aus der Stube.
Wie die Klumpliese wieder eintrat, fand sie Do-
rothea am Tische fitzen, die Arme vor sich hin auf die
Tischplatte gelegt, das Gesicht mit einem unsäglich
traurigen Ausdruck der Thüre zugekehrt.
Die Alte war neugierig uud gutmütig zugleich; sie
fragte mit teilnahmsvoller Miene: „Jnngfer Dorothe',
habt Ihr einen Kummer auf dem Herzen?"
Dorotheas Gesicht verfinsterte sich plötzlich; sie ent-
gegnete kurz: „Ich? Nein!"
„Nicht? Hab' das gemeint, weil Ihr so traurig
dreinfchaut! Vielleicht habt Ihr Euch mit Euerm
Schatz nicht vertragen und seid ein wenig über die
Duer nut ihm!"
Dorothea snhr heftig auf uud fagte ebenso heftig:
„Redet nur nicht von so 'was, ich hab' keinen
Schatz!"
„Nu, nu, seid nur gut!" beschwichtigte die Alte,
„ich weiß auch gar nichts Gewisses, uur hab' ich ein-
mal 'was munkeln gehört über Euch uud den Schul-
lehrer !"
Während ihres Redens hatte Liese von ihrem Trag-
kasten einige Schubladen herausgenommen nnd auf den
Tisch gestellt, jetzt schob sie eine nach der andern näher
vor die Müllerstvchter hin mit den Worten: „Schaut,
da Hütten wir den Weißen Zwirn, da den farbigen, da
wären Hemdenknöpf' nnd da allerhand Bandzeng, sucht
Euch's aus, was Ihr braucht!"
Dorothea kramte eine Weile in den Sachen rind
legte das, was sie benötigte, vor sich hin neben die
Laden. Danu sagte sie: „Liese, eiuen Fingerhut brauch'
ich auch!" uud uach eurer Pause setzte sie hinzu: „Sagt
eiumal, Liese, was ist's mit dem Jörg gewesen, hat er
freiwillig seinem Leben ein End' gemacht?"
Die Alte schüttelte den Kops.
„Das wird's Wohl nicht gewesen sein! Sie meinen,
er sei unversehens hiueiugefalleu, in seinem Rausch
wohl! Der Wirt, bei dem er am selbigen Abend ge-
wesen, sagt, der Jörg hätt' hübsch viel hinunter ge-
gossen und mag tüchtig ausgehabt haben!"
Dorothea konnte nur ein „Sv, so!" hervorbringen,
die Kehle war ihr wie zusnmmengepreßt.
Und die Alte fuhr in geschwätziger Weise fort:
„Ja, getrunken hat er immer gern, der Jörg, aber
sonst war er ein kreuzbraver Mann, der sich mit seiner
Familie schwer durchdringen hat müssen; man sagt ja,
aus dein Thalergut stehen große Hypotheken schon feit
feines Großvaters Zeiten. Er mag sich in letzter Zeit
nicht mehr hiuausgesehen haben, weil er gar so arg
ins Trinken gekommen ist. Jetzt wird Wohl der
Christian das Gut übernehmen, wenn er am End'
nicht gar verkaufen muß wegeu der Schuldeu! Daß
ich aber frag', Juugfer Dorothea, was wollt Ihr für
eiuen Fingerhut, einen weißen oder einen gelben?"
„Gebt mir einen weißen!" erwiderte Dorothea, uud
während ne die verschiedenen Fingerhüte an ihren
Fingern probirte, um die richtige Grütze heranszufinden,
fetzte sie hinzu: „Aber der Christian ist ja wohl gar
nicht daheim jetzt, glaub' ich!"
„Nein, der ist in der Stadt, wo er seine Militär-
jahr' abdient hat, und hat sich dort verdingt in seinem
Handwerk als Zimmermann. Er soll ein braver Bursche
sein, wie man hört!"
„Da wird ihn die Thalerbüuerin wohl nach Hans
berufen müssen, der andere Sohn ist ja noch zu jung,
der mag vor zwei Jahren noch in die Schul' gegangen
fein, denk' ich!"
Die Klumpliese uickte uud meinte: „Ja, der Jakob
ist noch ein blutjunges Bürschel! Jetzt muß ich aber
doch zum Weitergehn fchaun. Habt Ihr Euer Sach',
Jungfer?"
„Ja! Zählt zusammen, was das kostet!" sagte
Dorothea und zahlte dann den kleinen Geldbetrag.
Klumpliese war erst seit einigeu Minuten fort, als
der Müller die Stubenthüre öffnete, aus der Schwelle
steheu blieb uud seiner Tochter zurief, er gehe ins
D vrfwirtshau 8 h intib er.
Die Stimme des Mannes klang ungewöhnlich rauh
nnd in seinen Angen war ein trotziger, grollender Aus-
druck. Dorothea bemerkte nichts hiervon, sie war mit
ihren eigenen Gedanken viel zu führ beschäftigt; sie
nickte nur, ohne auszusehen.
Der schwere Schritt des Müllers erklang durch den
Flur, die Hausthüre schlug heftig zu, wie wenn einer
sie im Zorn zngemacht hätte.
Dorothea saß nun stundenlang allein; das Helle
Tageslicht wich immer mehr aus dem niedrigen, großen
Raum, bald herrschte eine matte Dämmerung darin,
und dann wurde es Plötzlich ganz finster; eine der bald
eiutreteuden nnd spät dem Tageslicht weichenden De-
zembernächte hatte begonnen.
Und noch immer saß das Mädchen einsam da, die
Arme ans dem Tische liegend, den Kopf tief aus die
Brust gesenkt, in tiefem, schmerzlichem Sinnen.
Von draußen wurden jetzt plötzlich Windstöße hör-
bar, die immer rascher aus einander folgten, und dann
ertönte ein Prasseln gegen die Fensterscheiben — kleine
Eiskörnchen sausten hernieder und unzählige davon
prallten heftig an die Scheiben.
Dorothea snhr ans einmal erschrocken empor; die
Thüre war geöffnet worden und Leui kam herein, eine
brennende Kerze in der Hand.
„Daß Ihr denn so lang im Dunkeln sitzen mögt,
Jnngfer!" sagte das Mädchen, „weiß Gott, ich fürchtete,
mich dabei! Was ich aber sagen wollt', soll ich das
Nachtmahl Herrichten?"
Dorothea erhob sich, während sie erwiderte: „Ich
thu's selbst! Nnr für nns, der Vater ißt wahrschein-
lich im Wirtshaus!"
Der Eschenmüller kam diesmal erst spät in der
Nacht nach Hause. Dorothea, die ihm die Hausthüre
öffnete und ihm zn seiner Schlafkammer emporleuchtete,
kehrte nach denn ersten Blick ans ihn schaudernd ihr
Gesicht von ihm ab; der Vater war sinnlos betrunken,
er schwankte gewaltig.
(Fortsetzung folgt.)
G BauernloLsi sei du mir Glück genug!
halt' auch ich in tollen Kiudesträumen
Die kecke 6and verlangend ausgestreckt
Nach jenen Losen, die in goldnen Schäumen
Die Welt wie Diademe ausgesteckt — - -
Und jetzt, und jetzt! Statt strahlenhellem Ruhme,
wonach gezogen der Gedanken Flug,
Schmückt mich allein des Feldes schlichte Blume —
M Bauernlos, sei du mir Glück genug!
Verblichen sind die Phantasiegebilde
Bon hohem, ritterlichem Heldenglanz,
Bon dem Triumphritt meiner Kriegergilde,
Bon Frauenhuld und einem Lorbeerkranz —
Statt dein Triumphgespann der edlen Hengste
ward mir ein träger, plumper Gchsenzug,
Bon allen Wirkungskreisen mir der engste —
(!) Bauernlos, sei du mir Glück genug!
Mein ward das Los der Arbeit und Entbehrung
Und mein die Schwiele an der derben Hand —
Und doch, und doch — in sonniger Verklärung
Erscheint mir ost mein vielverschmähter Stand!
Sein ist der Geist der Freiheit und der Treue,
wie hart ihn auch die Not in Ketten schlug,
Sein die Natur, sein ihrer Gottheit weihe —
M Bauernlos, sei du mir Glück genug!
Und mögen andre auch in Staatsgewändern
Mit Naserümpfen nur vorübergehn —
Ich jage nicht nach Prunk und (Ordensbändern,
Mein derber Kittel muß mir besser stehn,
Und besser aus dem kecken Haupt die Mütze,
wie ich sie schon aus Bubenlocken trug —
Ja, besser selbst der Hose Flick und Ritze —
(!) Banernlos, sei du mir Glück genug!
Mein ärmlich' Los, es kann mich nicht entehren —
was frag' ich nach dem Tand und Geckensinn?
Ich will ja nur des Herzens Reichtum mehren,
So lang ich Bauer noch und Dichter bin!
Und muß ich lebenslang die Liebe missen,
Führ' ich auch arm und mühsam meinen Pflua,
Und darf ich anders keine Freude grüßen —
M Bauernlos, sei du nur Glück genug!
AuS: „Dämmerlicht." Neue Lieder von F. Bopp. Zürich, I. Schubelitz.
Ueber Geisteskrankheiten.
Non
De. irieä. Htto IornöküLH.
II.
ARAie soll man sich nun einem Geisteskranken gegen-
d/H über verhalten? Vor allem soll man sich nie
^„on Augenblick von dem Gedanken entfernen,
daß man einen Kranken vor sich hat, dessen Leiden
tief zu beklagen ist, auch wenn er selbst kein Bedauern
wünscht oder sogar durch seine Aeußerungen und
Handlungen jedes Mitleid abzulehnen scheint. Nie
soll man denken, daß häßliche Aeußerungen der Krank-
heit den eigentlichen, vielleicht vorher verborgenen
Charakter des Kranken offenbarten, oder daß man aus
seinen Aeußerungen aus die Ursache des Leidens eiuen
Schluß machen könnte. Mit demselben Rechte würde
man ans schwierigen Leistungen, die jemand im Traum
mit großer Leichtigkeit begeht, aus Hochmut des Be-
treffenden uud so weiter schließen können. Der beste,
von Grund aus liebenswürdigste und vertrauensvollste
Mensch kann in geistiger Störung durch Unfreundlich-
keit und Mißtrauen seine Umgebung auf das furcht-
barste quälen.
Es würe ein Irrtum, wollte man glauben, daß
warten; endlich aber sagte sie: „Damit ist es nichts,
ich und er haben nichts mehr mit einander!"
Der Müller dachte nicht an das, was die beiden
eigentlich getrennt hatte was wußte er von den
zarten Empfindungen seiner Tochter — ihn deuchte
das Wahrscheinlichste, daß die zwei entweder mit ein-
ander gestritten Hatteil oder sich überhaupt nicht mehr
mochten.
Bei ihren Worten war ein Seufzer von seinen
Lippen gekommen; er hätte ihr so gerne etwas zu
Willen machen mögen, um einen freundlichen Blick, ein
Lächeln dafür zu erlangen, lind nnn dieses verfehlt
war, wußte er nicht, was er sonst thnu könnte; so
bückte er sich wieder über feine Schiefertafel lind be-
gann von nenem zn rechnen. Da schrak er plötzlich
zusammen. Das Geräusch der feit einer Weile im Flur
hörbaren Schritte war ihm bisher entgangen, und nun
störte ihn plötzlich ein nachdrückliches Klopfen an der
Stubenthüre auf.
„Herein!" rief Dorothea und kehrte sich der Thür zu.
Ans der Schwelle erschien ein altes, gebückt gehendes
Weib.
„Ihr seid's, Ktnmpliese!" sagte Dorothea verwundert,
„ich denk', Ihr habt gesagt, daß Ihr den Winter über
nicht mehr kommen wollt!"
„Hab's auch nicht wollen, habt schon recht damit,
Jungfer Dorothe'!" entgegnete die Alte lind schleppte
sich mit ihrem Klumpfuße — voll diesem hatte sie die
Bezeichnung „Klumpliefe" erhalten - in die Stube
herein, „aber seht Ihr, der Winter dauert halt alle-
mal gar so lang, und da werden mir die Kreuzerlein
gar so wenig, wenn ich so lauge Zeit gar nichts ver-
dienen kann! So ein armes, altes Weibert wie ich,
das mit einem Fuß schon im Grab steht, braucht wohl
nicht viel, aber leb'n muß man doch! Und da hab'
ich mir denkt, machst noch einmal einen Rnndgang zn
deinen Kundschaften, vielleicht geht wieder ein wenig
Zwirn oder von die Knöpf' ab!"
Und damit ließ sich die Sprecherin ans der Bank
in nächster Nähe des Kachelofens nieder und preßte
ihre dürren, knochigen Finger an die heißen Kacheln,
nm sich zu erwärmen.
„Bleibt Ihr heut nacht da oder geht der Weg noch
weiter?" fragte Dorothea.
„Beileibe nicht, kann nicht dableiben! Muß noch
zum Wiesenbalier, uud beim Oberheider in der Lahn
bleib'ich erst! Nur ein wenig nusrasten thn' ich mich,
weun's ertaubt ist, und vielleicht braucht Ihr auch 'was
voll mir, Jungfer Dorothe'!"
Die Müllerstochter nickte.
„Wollen halt sehen, bevor Ihr geht, Liese! Mögt
wohl einen Schluck vom Kornenen, der Euch ein wenig
answärmt!" sagte sie und ging znm Schrank.
Als ein Gläschen, mit dem Branntwein gefüllt, neben
der Alten stand, sagte diese: „Ihr seid halt gilt zu
einem armen Weibert, unser Herrgott wird's Euch ge-
wißlich einmal vergelten!"
E>ie sah nicht, welch bitteres Lächeln in Dorotheas
Gesicht kam; ja, ja, der Herrgott! Kann denn der all
das Elend, das jetzt Dorotheas Herz drückt, von ihr
nehmen? Wenn er's könnt' oder möcht', ihr würe das
die beste Vergeltung, denkt die Müllerstochter, aber das
bleibt hängen an ihr all ihr Lebtag.
Unterdessen hatte die Liese einen Schluck aus dem
Gläschen gethan, und während sie es nun behutsam
ans die Bank zurückstellte, sagte sie: „Aber nicht wahr,
das ist ein Unglück bei den Thalergntsleuten — mit
dem Jörg, das?"
Des Bauern Kopf am Tische sank beinahe ganz,
auf die Schiefertafel herab und der Griffel fuhr schnell
uud knirschend dahin. Dorotheas Gesicht wurde starr,
während ihr Körper in heftiges Schwanken geriet, so
daß sie sich rasch ans die Bank, neben der sie stand,
niederlassen mußte, um nicht zn fallen.
Endlich ermannte sie sich so weit, um fragen zn
können: „Was — was foll's denn sein mit dem Jörg?"
Klumpliese gab sich eine wichtige Miene, nun sie
wußte, daß sie eine Neuigkeitsverkünderin sei, und er-
zählte jetzt des Langen uud Breiteu; wie der Jörg seit
vorgestern abends abgegangen, wie man fürchtete, es
sei ihm ein Unglück zngestoßen, und nach ihm suchte.
Heute früh habe mau ihn endlich gesunden — ein
ziemliches Stück unterhalb des Thalergutes, am Fluß-
rand, mit den Kleidern an einer Staude hängend —
ertrunken.
Tie Erzählerin in ihrem Feuereifer merkte gar
nicht, wie die zwei Zuhörer so gänzlich stumm dasaßen,
auch danu noch, als sie geendet.
Erst nach einer Längeren Panse sagte Dorothea
langsam:
„Ja, ja, ein schreckliches Unglück ist das!" und
dann setzte sie etwas rascher hinzu: „Und wenn Ihr
jetzt so gut wäret und brächtet Euren Kramkasten her-
ein in die Stube, möcht' ich mir 'was aussuchen!"
Eilsertip erhob sich die Alte und humpelte zur
Thüre, wobei sie meinte: „Ja, ja, ich muß so bald
wieder weiter, sonst überfällt mich die Nacht! Ist
nicht ratsam, im Finstern um einander zu gehn!"
Il! ustrirte W e l t.
Gleichzeitig stand auch der Müller auf, hing die
Tafel an die Wand uud ging aus der Stube.
Wie die Klumpliese wieder eintrat, fand sie Do-
rothea am Tische fitzen, die Arme vor sich hin auf die
Tischplatte gelegt, das Gesicht mit einem unsäglich
traurigen Ausdruck der Thüre zugekehrt.
Die Alte war neugierig uud gutmütig zugleich; sie
fragte mit teilnahmsvoller Miene: „Jnngfer Dorothe',
habt Ihr einen Kummer auf dem Herzen?"
Dorotheas Gesicht verfinsterte sich plötzlich; sie ent-
gegnete kurz: „Ich? Nein!"
„Nicht? Hab' das gemeint, weil Ihr so traurig
dreinfchaut! Vielleicht habt Ihr Euch mit Euerm
Schatz nicht vertragen und seid ein wenig über die
Duer nut ihm!"
Dorothea snhr heftig auf uud fagte ebenso heftig:
„Redet nur nicht von so 'was, ich hab' keinen
Schatz!"
„Nu, nu, seid nur gut!" beschwichtigte die Alte,
„ich weiß auch gar nichts Gewisses, uur hab' ich ein-
mal 'was munkeln gehört über Euch uud den Schul-
lehrer !"
Während ihres Redens hatte Liese von ihrem Trag-
kasten einige Schubladen herausgenommen nnd auf den
Tisch gestellt, jetzt schob sie eine nach der andern näher
vor die Müllerstvchter hin mit den Worten: „Schaut,
da Hütten wir den Weißen Zwirn, da den farbigen, da
wären Hemdenknöpf' nnd da allerhand Bandzeng, sucht
Euch's aus, was Ihr braucht!"
Dorothea kramte eine Weile in den Sachen rind
legte das, was sie benötigte, vor sich hin neben die
Laden. Danu sagte sie: „Liese, eiuen Fingerhut brauch'
ich auch!" uud uach eurer Pause setzte sie hinzu: „Sagt
eiumal, Liese, was ist's mit dem Jörg gewesen, hat er
freiwillig seinem Leben ein End' gemacht?"
Die Alte schüttelte den Kops.
„Das wird's Wohl nicht gewesen sein! Sie meinen,
er sei unversehens hiueiugefalleu, in seinem Rausch
wohl! Der Wirt, bei dem er am selbigen Abend ge-
wesen, sagt, der Jörg hätt' hübsch viel hinunter ge-
gossen und mag tüchtig ausgehabt haben!"
Dorothea konnte nur ein „Sv, so!" hervorbringen,
die Kehle war ihr wie zusnmmengepreßt.
Und die Alte fuhr in geschwätziger Weise fort:
„Ja, getrunken hat er immer gern, der Jörg, aber
sonst war er ein kreuzbraver Mann, der sich mit seiner
Familie schwer durchdringen hat müssen; man sagt ja,
aus dein Thalergut stehen große Hypotheken schon feit
feines Großvaters Zeiten. Er mag sich in letzter Zeit
nicht mehr hiuausgesehen haben, weil er gar so arg
ins Trinken gekommen ist. Jetzt wird Wohl der
Christian das Gut übernehmen, wenn er am End'
nicht gar verkaufen muß wegeu der Schuldeu! Daß
ich aber frag', Juugfer Dorothea, was wollt Ihr für
eiuen Fingerhut, einen weißen oder einen gelben?"
„Gebt mir einen weißen!" erwiderte Dorothea, uud
während ne die verschiedenen Fingerhüte an ihren
Fingern probirte, um die richtige Grütze heranszufinden,
fetzte sie hinzu: „Aber der Christian ist ja wohl gar
nicht daheim jetzt, glaub' ich!"
„Nein, der ist in der Stadt, wo er seine Militär-
jahr' abdient hat, und hat sich dort verdingt in seinem
Handwerk als Zimmermann. Er soll ein braver Bursche
sein, wie man hört!"
„Da wird ihn die Thalerbüuerin wohl nach Hans
berufen müssen, der andere Sohn ist ja noch zu jung,
der mag vor zwei Jahren noch in die Schul' gegangen
fein, denk' ich!"
Die Klumpliese uickte uud meinte: „Ja, der Jakob
ist noch ein blutjunges Bürschel! Jetzt muß ich aber
doch zum Weitergehn fchaun. Habt Ihr Euer Sach',
Jungfer?"
„Ja! Zählt zusammen, was das kostet!" sagte
Dorothea und zahlte dann den kleinen Geldbetrag.
Klumpliese war erst seit einigeu Minuten fort, als
der Müller die Stubenthüre öffnete, aus der Schwelle
steheu blieb uud seiner Tochter zurief, er gehe ins
D vrfwirtshau 8 h intib er.
Die Stimme des Mannes klang ungewöhnlich rauh
nnd in seinen Angen war ein trotziger, grollender Aus-
druck. Dorothea bemerkte nichts hiervon, sie war mit
ihren eigenen Gedanken viel zu führ beschäftigt; sie
nickte nur, ohne auszusehen.
Der schwere Schritt des Müllers erklang durch den
Flur, die Hausthüre schlug heftig zu, wie wenn einer
sie im Zorn zngemacht hätte.
Dorothea saß nun stundenlang allein; das Helle
Tageslicht wich immer mehr aus dem niedrigen, großen
Raum, bald herrschte eine matte Dämmerung darin,
und dann wurde es Plötzlich ganz finster; eine der bald
eiutreteuden nnd spät dem Tageslicht weichenden De-
zembernächte hatte begonnen.
Und noch immer saß das Mädchen einsam da, die
Arme ans dem Tische liegend, den Kopf tief aus die
Brust gesenkt, in tiefem, schmerzlichem Sinnen.
Von draußen wurden jetzt plötzlich Windstöße hör-
bar, die immer rascher aus einander folgten, und dann
ertönte ein Prasseln gegen die Fensterscheiben — kleine
Eiskörnchen sausten hernieder und unzählige davon
prallten heftig an die Scheiben.
Dorothea snhr ans einmal erschrocken empor; die
Thüre war geöffnet worden und Leui kam herein, eine
brennende Kerze in der Hand.
„Daß Ihr denn so lang im Dunkeln sitzen mögt,
Jnngfer!" sagte das Mädchen, „weiß Gott, ich fürchtete,
mich dabei! Was ich aber sagen wollt', soll ich das
Nachtmahl Herrichten?"
Dorothea erhob sich, während sie erwiderte: „Ich
thu's selbst! Nnr für nns, der Vater ißt wahrschein-
lich im Wirtshaus!"
Der Eschenmüller kam diesmal erst spät in der
Nacht nach Hause. Dorothea, die ihm die Hausthüre
öffnete und ihm zn seiner Schlafkammer emporleuchtete,
kehrte nach denn ersten Blick ans ihn schaudernd ihr
Gesicht von ihm ab; der Vater war sinnlos betrunken,
er schwankte gewaltig.
(Fortsetzung folgt.)
G BauernloLsi sei du mir Glück genug!
halt' auch ich in tollen Kiudesträumen
Die kecke 6and verlangend ausgestreckt
Nach jenen Losen, die in goldnen Schäumen
Die Welt wie Diademe ausgesteckt — - -
Und jetzt, und jetzt! Statt strahlenhellem Ruhme,
wonach gezogen der Gedanken Flug,
Schmückt mich allein des Feldes schlichte Blume —
M Bauernlos, sei du mir Glück genug!
Verblichen sind die Phantasiegebilde
Bon hohem, ritterlichem Heldenglanz,
Bon dem Triumphritt meiner Kriegergilde,
Bon Frauenhuld und einem Lorbeerkranz —
Statt dein Triumphgespann der edlen Hengste
ward mir ein träger, plumper Gchsenzug,
Bon allen Wirkungskreisen mir der engste —
(!) Bauernlos, sei du mir Glück genug!
Mein ward das Los der Arbeit und Entbehrung
Und mein die Schwiele an der derben Hand —
Und doch, und doch — in sonniger Verklärung
Erscheint mir ost mein vielverschmähter Stand!
Sein ist der Geist der Freiheit und der Treue,
wie hart ihn auch die Not in Ketten schlug,
Sein die Natur, sein ihrer Gottheit weihe —
M Bauernlos, sei du mir Glück genug!
Und mögen andre auch in Staatsgewändern
Mit Naserümpfen nur vorübergehn —
Ich jage nicht nach Prunk und (Ordensbändern,
Mein derber Kittel muß mir besser stehn,
Und besser aus dem kecken Haupt die Mütze,
wie ich sie schon aus Bubenlocken trug —
Ja, besser selbst der Hose Flick und Ritze —
(!) Banernlos, sei du mir Glück genug!
Mein ärmlich' Los, es kann mich nicht entehren —
was frag' ich nach dem Tand und Geckensinn?
Ich will ja nur des Herzens Reichtum mehren,
So lang ich Bauer noch und Dichter bin!
Und muß ich lebenslang die Liebe missen,
Führ' ich auch arm und mühsam meinen Pflua,
Und darf ich anders keine Freude grüßen —
M Bauernlos, sei du nur Glück genug!
AuS: „Dämmerlicht." Neue Lieder von F. Bopp. Zürich, I. Schubelitz.
Ueber Geisteskrankheiten.
Non
De. irieä. Htto IornöküLH.
II.
ARAie soll man sich nun einem Geisteskranken gegen-
d/H über verhalten? Vor allem soll man sich nie
^„on Augenblick von dem Gedanken entfernen,
daß man einen Kranken vor sich hat, dessen Leiden
tief zu beklagen ist, auch wenn er selbst kein Bedauern
wünscht oder sogar durch seine Aeußerungen und
Handlungen jedes Mitleid abzulehnen scheint. Nie
soll man denken, daß häßliche Aeußerungen der Krank-
heit den eigentlichen, vielleicht vorher verborgenen
Charakter des Kranken offenbarten, oder daß man aus
seinen Aeußerungen aus die Ursache des Leidens eiuen
Schluß machen könnte. Mit demselben Rechte würde
man ans schwierigen Leistungen, die jemand im Traum
mit großer Leichtigkeit begeht, aus Hochmut des Be-
treffenden uud so weiter schließen können. Der beste,
von Grund aus liebenswürdigste und vertrauensvollste
Mensch kann in geistiger Störung durch Unfreundlich-
keit und Mißtrauen seine Umgebung auf das furcht-
barste quälen.
Es würe ein Irrtum, wollte man glauben, daß