634
das schlaue Weib, die Tochter eines Musikers Enke
und später zum Schein an den Kammerdiener Rietz
verheiratet, den Diebstahl dadurch zu verdecken, daß
sie zu den im Krankenzimmer Anwesenden sagte: „Hering,
rüst der König, er will einen Hering haben." Bald
daraus verschied der Monarch und die Gräfin blieb im
Besitz ihres Raubes, der unbemerkt geblieben war.
Äks nach dem Regierungsantritt Friedrich Wil-
helms III. die von dessen Vorgänger zur Gräfin
Lichtmau erhobene Frau Rietz ihre Jntriguen sort-
setzte und am preußischen Hofe dieselbe Rolle zu spielen
versuchte, wie in Frankreich die Marquise von Pompa-
dour, wurde sie aus der Nähe der königlichen Familie
und der Residenz verbannt, aber der geheimnisvolle
Ring blieb natürlich in ihrem Besitz. Von diesem
Zeitpunkte, dem Jahre 1806 an bis 1813, wich das
Glück vom Hanse Hohenzollern und kehrte — nach der
Sage — erst wieder, als im letztgenannten Jahre die
Gräfin den Ring gegen eine ansehnliche Pension an
die königliche Familie zurückgab.
Eines Tages nahm der Hofrat Schneider, bekannt-
lich ein besonderer Liebling des Kaisers Wilhelm I.,
Gelegenheit, mit dem letzteren über den Ring und die
von ihm aufgefundenen Notizen über denselben zu
sprechen.
„Alles, was Sie da von Eröffnung des versiegelten
Paketes gesagt, hat seine Richtigkeit," versetzte der
Monarch. „Es ist im königlichen Hause üblich, daß
der Ring und die Papiere jedem neuen Könige vor-
gelegt werden. Auch mit der von Ihnen angeführteil
Aufschrift meines seligen Bruders hat es — dem Sinne
nach — seine Nichtigkeit. So viel ich mich erinnere,
ist es ein altmodisch geformter Ring mit einem ein-
fachen dunkelfarbigen Stein, genau vermag ich dessen
Farbe nicht zu charakterisiren, jedenfalls aber war es
weder ein Diamant mit zwei Rubinen, noch war es
ein schwarzer Stein. Von all den Dingen, die Sie
aus schriftlichen und mündlichen Ueberlieferungen ge-
sammelt, steht nichts in den Papieren, welche das
Paket enthält, sondern nur, daß der Ring von einem
meiner Vorfahren stammt, und Friedrich II-, wie alle
seine Nachfolger, befohlen hat, daß der Ring sorgfältig
aufbewahrt werden soll. Das mit der Kröte und den
Bleististzetteln meines Großvaters sind mir ganz neue
Sachen. Nachdem ich den Ring und die Papiere meiner
Frau und dem Kronprinzen gezeigt, habe ich ebenfalls
die weitere sorgfältige Aufbewahrung befohlen. Daß
mein hochseliger Bruder sich die Porträts mehrerer
Kurfürsten habe zeigen lassen, um zu sehen, ob einer
von ihnen einen ähnlichen Ring am Finger trage, ist
möglich; ich habe indes nie davon gehört. Jedenfalls
enthalten jene Papiere nichts, was den Wunderglauben
nähren könnte, und viel weniger, als was Sie darüber
zusammengetragen haben."
Kaiser Wilhelm zeigte durch den ruhigen Ausdruck,
mit dem er diese Worte sprach, daß ihm nichts ferner
liege, als der Glaube an Mystizismus, an einen ge-
heimnisvollen Einfluß, den der rätselhafte Ring auf
die Geschicke feines Hauses austiben könnte. Wenn er
trotzdem den Reif sorgfältig ausbewahren ließ, so
folgte er damit nur dem Beispiele feiner Vorfahren,
ähnlich wie auch in anderen Familien alten Erbstücken
gegenüber eine pietätvolle Tradition gewahrt und ge-
pflegt wird.
Noch ein seltsames Vorkommnis aus dem Leben
Kaiser Wilhels I. verdient hier Erwähnung. Es war
im Jahre 1863, als der damals bereits sechsundsechzig-
jährige König zum erstenmale in Karlsbad als Kur-
gast weilte. Am Brunnen bediente sich der leutselige
Monarch nie einer Mittelsperson, sondern übergab
seinen Becher stets selbst dem Brnnnenmädchen, dem er
ost freundliche Worte sagte, aus der Hand desselben
auch regelmäßig das gefüllte Gefäß persönlich wieder
in Empfang nehmend.
Da traf er eines Morgens die russische Fürstin
Dolgorucki am Brunnen, und während er sie begrüßte
und ein Gespräch mit ihr anknüpfte, reichte er me-
chanisch und ohne sich umzusehen, seinen Becher zum
Füllen hin. Wenige Minuten daraus verabschiedete er
sich von der Fürstin und wendete sich dem Brunnen
zu, um das Krüglein sich reichen zu lassen. Aber plötz-
lich entfärbte er sich leicht und seine kräftige Gestalt
zuckte betroffen zusammen; allein nur einen Äugenblick,
dann nahm er, wenn auch mit sichtlichem Widerstreben,
den gefüllten Becher in die leise zitternde Hand. Einen
Moment zögerte er, das Gefäß an die Lippen zu setzen,
dann aber, wie von einem plötzlichen Entschluß ge-
trieben, trank er das heilkräftige Naß. Der eigentüm-
liche Vorgang war nicht unbemerkt geblieben, fragend
schauten sich die Znnächststehenden an, aber niemand
vermochte Aufschluß zu geben.
Als in den achtziger Jahren die vielbesuchte hygie-
nische Ausstellung in Berlin stattfand, hatte Karlsbad
außer den Plänen seinex Kur- und Quellenanlagen,
Brunnen- und Badehüusern auch eine interessante
Sammlung historischer Merkwürdigkeiten, namentlich
von Bechern, aus denen berühmte Persönlichkeiten ge-
trunken, nach der deutschen Reichshauptstadt gesandt.
IlLnstrirte Welt.
darunter auch den mit einer Kornblume geschmückten
Porzellanbecher, welchen der König während seines drei-
maligen Aufenthaltes in Karlsbad benützt hatte. Der
Becher war natürlich ausschließlich für den Monarchen
bestimmt und befand sich in der Verwahrung seines
Arztes, des Geheimerates Dr. Preist in Karlsbad. Wäh-
rend eines Rundganges in der Ausstellung bemerkte
der König auch das ihm wohlbekannte Trinkgefäß,
nahm es herab und sagte leuchtenden Blickes zu seiner
Umgebung:
„Aus diesem Becher habe ich mir Genesung ge-
trunken, aber er weckt auch in mir die Erinnerung an
einen seltsamen, fast unheimlichen Vorgang."
Und nun erzählte der Monarch seinen Begleitern,
daß er einst in Karlsbad geträumt habe, ein fremder,
schwarzgekleideter Mann werde ihn vergiften. Als er
in den Morgenstunden zum Brunnen gekommen sei,
habe er während des Gesprächs mit der Fürstin Dolgo-
rucki nicht daraus geachtet, wer ihm den Becher stille,
und erst als er ihn in Empsang genommen, habe-er
zu seinem Erstaunen bemerkt, daß nicht wie stets, das
Vrunnenmädchen, sondern ein ihm unbekannter schwarz
gekleideter Mann ihn bedient hatte. Da sei ihm der
Traum eingefallen und er habe sich eines leichten
Schreckens nichl erwehren können, das Zusammentreffen
sei doch gar zn eigentümlich gewesen. Einige Augen-
blicke habe er geschwankt, ob er trinken solle, dann aber
hätte er seine Bedenken überwunden und den Becher
geleert, natürlich ohne den geringsten Nachteil. Der
unheimliche schwarze Mann aber sei nichts weniger als
ein Giftmischer, sondern der harmlose Brunnenwürter
gewesen, welcher für die plötzlich erkrankte Sprudel-
nymphe den Dienst übernommen hatte.
Wer weiß, ob dieser immerhin sonderbare Vorgang
im Munde des Volkes nicht eine derartige Wandlung
erfährt, daß er dereinst im grauen Nebelgewande der
Sage erscheint. Die Heldengestalt Kaiser Wilhelms
umgibt schon jetzt der verklärende Nimbus unsterb-
lichen Ruhmes, und sie wird späteren Geschlechtern
wie ein Heros erscheinen, ebenbürtig den gewaltigen
Recken des Nibelungenliedes, ebenbürtig Hermanns des
Cheruskers und Friedrich Barbarossas. Und gerade
seinen Lieblingen drückt das Volk gern den Epheukranz
der Sage aufs Haupt und umgibt sie mit dem Schleier
romantischer Mythe; die edelste der Künste aber, die
Poesie, verherrlicht sie mit ihren schönsten Epen voll
hinreißenden dithyrambischen Schwunges.
Freilich, die Zeit ist vorüber, von welcher der
Dichter sagt:
„Weiland war ein jedes Dorf
Heimgesucht durch seine Geister,
Jeder Weiler frug um Rat
Seinen Spuk- und Hexenmeister.
Seinen Kobold, sein Gespenst
Barg ein jedes Schloß im Grunde,
Und das Alter fabelte
Gern davon mit regem Munde —"
aber wenn auch die Leuchte der Aufklärung die Nacht
des Aberglaubens mehr und mehr erhellt, wenn auch
keine Kobolde und Gespenster für sterbliche Augen sicht-
bar mehr umgehen, — die Sage läßt sie fortleben in
den Hütten des Volkes wie in den Prunkgemächern der
Fürstenpaläste.
Der Angarten in Wien.
(Bild S. 640.)
Ein Fest voll Pracht und Herrlichkeit und reich an originellen
Reizen, dabei erfüllt von dem erfrischenden Geiste echter Volks-
tümlichkeit, sand neulich in dem prächtigen grünen Eden Wiens,
dem „Augarten", statt, den unser Bild dem Leser vorführt.
Zwei Damen der Aristokratie, die geniale Fürstin von Metternich
und die edle Förderin alles Guten, die Gräfin Kielmansegg,
hatten sich vereint, um der Wohlthätigkeit reiche Gaben aus dem
Ertragnisse dieses Festes zuzuführen. Keinen schöneren Platz
hätte das Konnte für dieses Fest wählen können als den Au-
garten, den Kaiser Joseph vor etwa 120 Jahren den Wienern
erschlossen und über dessen Eingangsthor er die schönen Worte
geschrieben: „Allen Menschen gewidmeter Belustigungsort von
ihrem Schätzer." Im Sinne des großen Kaisers handeln die
beiden hochgebornen Damen, die an der Spitze des Konnte stehen
und hingebungsvoll die schwere, sorgenvolle Last des Arrangements
eines so großartigen Festes auf sich nahmen. Wer sich der Armen
annimmt, wer für die Pflege der Kranken sorgt, wer den Lei-
denden, den Hilflosen eine Stütz: bietet in der Nacht der Ver-
zweiflung, der ist ein Schützer der Menschheit im schönsten,
edelsten Sinne des Wortes, und je höher der steht, der Barm-
herzigkeit übt, je tiefer er von den glanzvollen Stufen des eigenen
Daseins herabsteigen muß, um in die Hütten der Armut und
des Elends zu gelangen, desto größer wird sein Verdienst, desto
lichtvoller erscheint seine That. Die Kaiser Joseph-Terrasse, das
Lieblingsplätzchen des großen Kaisers, das erst kürzlich ver-
schwunden ist, hat der Zeichner als weihevolle Reminiszenz dem
Bilde beigefügt.
Zolim oder die Macht der Fiebe.
Novelle aus dem Zigeunerleben
I.
asda *) Nikanor war der reichste Bauer in dem
ganzen großen Dorfe Bagrdan. Seine Felder
dehnten sich von seinem Obstgarten bis zu
dem beinahe eine halbe Stunde von demselben
entfernten Moravaufer aus. Seine südlich von dem
Dorfe gelegenen Weingärten waren mit Reben edelster
Sorten bepflanzt, deshalb standen Nikanors Weine immer
bedeutend höher im Preise als jene seiner Anrainer.
Im Frühjahre rissen sich die Bauern förmlich um die
Rebensetzlinge aus seinem Weingarten. Der nahe ge-
legene, ringsherum von einem hohen Zaun umgebene
Eichenwald mit Riesen von ehrwürdigem Alter be-
herbergte jahraus jahrein eine nach Hunderten zählende
Schweineherde, die schon an sich selbst ein Vermögen
reprüsentirte. Sein größter Schatz aber war die acht-
zehnjährige Justine, seine einzige Tochter. Nikanor
hatte wohl auch einen Sohn, aber er verkehrte mit
demselben gar nicht. Er hatte ihn studiren lassen,
jedoch nicht in der Absicht, sich denselben dadurch zu
entfremden, sondern um ihn dadurch über andere
Bauernsöhne des Dorfes zu erheben und aus ihm einen
tüchtigen Landwirt zu machen, der vermöge seiner
Kenntnisse den einst zu übernehmenden ausgedehnten
Besitz, den Stolz des Vaters, aus die höchste Stufe
der modernen Wirtschaftskultur bringen sollte. Der
Vater denkt, der Sohn aber lenkt, bleibt in der Stadt,
wird Gerichtsschreiber und heiratet ohne Wissen der
Eltern ein aufgeblasenes Stadtkind, welches ihm nichts
anderes zubrachte als einen Hausen Stolz und ein
Wörterbuch von Ansprüchen. Daß Branko, so hieß
Nikanors Sohn, Schreiber geworden, hätte der Vater
leicht verschmerzt, weil er sich gedacht hätte, daß er
davon bald satt sein und reumütig in das väterliche
Haus zurückkehren werde; aber ohne Wissen und
Wollen der Eltern zu heiraten, das überschritt schon
die Grenzen des denkbar größten Leichtsinns. Der
Sohn heiratet, ohne dem Vater davon zu melden.
Unerhört! Ist es doch des Vaters unbestrittenes Recht,
dem Sohne eine ihm passende Lebensgefährtin zu finden.
Er hätte ja auch nichts dagegen gehabt, wenn sich
Branko eine Gattin ausgesucht und dem Vater hievon
Mitteilung gemacht Hütte, damit dieser, von seinem
väterlichen Rechte Gebrauch machend, vor den Vater
oder Vormund seiner künftigen Schwiegertochter ge-
treten wäre und dieselbe für seinen Sohn zur Gattin
begehrt hätte. Nichts von dem! Er erfuhr die ihm
von seinem Sohne zugefügte unverdiente Zurücksetzung
durch fremde Leute. Deshalb machte er so, als ob er
keinen Sohn Hütte, und wenn ihn jemand nach dem-
selben fragte, so stellte er sich, als ob er die Frage
nicht gehört Hütte, oder er drehte sich um und ging
von dannen.
Die Eltern übertrugen deshalb all ihre Liebe auf
ihre Tochter. Justina verdiente aber auch die Liebe
derselben im vollsten Maße, denn sie war in allem
das Muster eines guten Kindes. Zudem war sie von
einer unter den Landmüdchen seltenen Schönheit. Kein
Wunder daher, daß sich die erwachsene männliche Dorf-
jugend in der Würmern Jahreszeit fast jeden Abend
vor dem Hause des Gasda Nikanor versammelte und
in der landesüblichen Weise nach den einfachen Tönen
einer Hirtenpseife Kolotänze**) ausführte. Die Laute
der Flöte lockten bald auch die Dorfschönen herbei, und
dann wechselte Tanz mit Gesang vor dem Hause des
reichen Bauers oft stundenlang.
Justina behandelte alle Burschen des Dorfes mit
gleicher Freundlichkeit, aber auch mit gleicher Zurück-
haltung. Keiner derselben konnte sich auch uur der
geringsten Begünstigung rühmen. Doch, doch! Es
war einer im Dorfe, der ihrem Herzen näher stand,
als alle anderen, vielleicht näher als ihre eigenen
Eltern. Aber dieser eine kam nicht zum Tanze, oder
wenn er ausnahmsweise einmal erschien, so that er
so, als ob er Justina gar nicht kenne.
Am östlichen Ende des Dorfes, hart an der von
Belgrad über Nisch und Sofia nach Konstantinopel
führenden Reichsstraße stand ein anspruchsloses Bauern-
haus, hinter welchem sich zwei Wirtschaftsgebäude von
bescheidenem Umfange erhoben. Nach dem letzteren zu
urteilen, gehörte der Besitzer dieses Anwesens unter
die sogenannten Kleinbauern oder Halbhübler. Der
Eigentümer desselben hieß Kosta Brka oder Brkin
Koja, wie man ihn allgemein nannte. Brkin Kvja
2°) Der Titel eines wohlhabenden nnd angesehenen Mannes, der
aber kein öffentliches Amt bekleidet.
Der Serbe kennt nnr einen Tanz, das Kolo (Kreis, Rad). Die
Variationen desselben bestehen in dem langsameren oder schnelleren
Tempo.
das schlaue Weib, die Tochter eines Musikers Enke
und später zum Schein an den Kammerdiener Rietz
verheiratet, den Diebstahl dadurch zu verdecken, daß
sie zu den im Krankenzimmer Anwesenden sagte: „Hering,
rüst der König, er will einen Hering haben." Bald
daraus verschied der Monarch und die Gräfin blieb im
Besitz ihres Raubes, der unbemerkt geblieben war.
Äks nach dem Regierungsantritt Friedrich Wil-
helms III. die von dessen Vorgänger zur Gräfin
Lichtmau erhobene Frau Rietz ihre Jntriguen sort-
setzte und am preußischen Hofe dieselbe Rolle zu spielen
versuchte, wie in Frankreich die Marquise von Pompa-
dour, wurde sie aus der Nähe der königlichen Familie
und der Residenz verbannt, aber der geheimnisvolle
Ring blieb natürlich in ihrem Besitz. Von diesem
Zeitpunkte, dem Jahre 1806 an bis 1813, wich das
Glück vom Hanse Hohenzollern und kehrte — nach der
Sage — erst wieder, als im letztgenannten Jahre die
Gräfin den Ring gegen eine ansehnliche Pension an
die königliche Familie zurückgab.
Eines Tages nahm der Hofrat Schneider, bekannt-
lich ein besonderer Liebling des Kaisers Wilhelm I.,
Gelegenheit, mit dem letzteren über den Ring und die
von ihm aufgefundenen Notizen über denselben zu
sprechen.
„Alles, was Sie da von Eröffnung des versiegelten
Paketes gesagt, hat seine Richtigkeit," versetzte der
Monarch. „Es ist im königlichen Hause üblich, daß
der Ring und die Papiere jedem neuen Könige vor-
gelegt werden. Auch mit der von Ihnen angeführteil
Aufschrift meines seligen Bruders hat es — dem Sinne
nach — seine Nichtigkeit. So viel ich mich erinnere,
ist es ein altmodisch geformter Ring mit einem ein-
fachen dunkelfarbigen Stein, genau vermag ich dessen
Farbe nicht zu charakterisiren, jedenfalls aber war es
weder ein Diamant mit zwei Rubinen, noch war es
ein schwarzer Stein. Von all den Dingen, die Sie
aus schriftlichen und mündlichen Ueberlieferungen ge-
sammelt, steht nichts in den Papieren, welche das
Paket enthält, sondern nur, daß der Ring von einem
meiner Vorfahren stammt, und Friedrich II-, wie alle
seine Nachfolger, befohlen hat, daß der Ring sorgfältig
aufbewahrt werden soll. Das mit der Kröte und den
Bleististzetteln meines Großvaters sind mir ganz neue
Sachen. Nachdem ich den Ring und die Papiere meiner
Frau und dem Kronprinzen gezeigt, habe ich ebenfalls
die weitere sorgfältige Aufbewahrung befohlen. Daß
mein hochseliger Bruder sich die Porträts mehrerer
Kurfürsten habe zeigen lassen, um zu sehen, ob einer
von ihnen einen ähnlichen Ring am Finger trage, ist
möglich; ich habe indes nie davon gehört. Jedenfalls
enthalten jene Papiere nichts, was den Wunderglauben
nähren könnte, und viel weniger, als was Sie darüber
zusammengetragen haben."
Kaiser Wilhelm zeigte durch den ruhigen Ausdruck,
mit dem er diese Worte sprach, daß ihm nichts ferner
liege, als der Glaube an Mystizismus, an einen ge-
heimnisvollen Einfluß, den der rätselhafte Ring auf
die Geschicke feines Hauses austiben könnte. Wenn er
trotzdem den Reif sorgfältig ausbewahren ließ, so
folgte er damit nur dem Beispiele feiner Vorfahren,
ähnlich wie auch in anderen Familien alten Erbstücken
gegenüber eine pietätvolle Tradition gewahrt und ge-
pflegt wird.
Noch ein seltsames Vorkommnis aus dem Leben
Kaiser Wilhels I. verdient hier Erwähnung. Es war
im Jahre 1863, als der damals bereits sechsundsechzig-
jährige König zum erstenmale in Karlsbad als Kur-
gast weilte. Am Brunnen bediente sich der leutselige
Monarch nie einer Mittelsperson, sondern übergab
seinen Becher stets selbst dem Brnnnenmädchen, dem er
ost freundliche Worte sagte, aus der Hand desselben
auch regelmäßig das gefüllte Gefäß persönlich wieder
in Empfang nehmend.
Da traf er eines Morgens die russische Fürstin
Dolgorucki am Brunnen, und während er sie begrüßte
und ein Gespräch mit ihr anknüpfte, reichte er me-
chanisch und ohne sich umzusehen, seinen Becher zum
Füllen hin. Wenige Minuten daraus verabschiedete er
sich von der Fürstin und wendete sich dem Brunnen
zu, um das Krüglein sich reichen zu lassen. Aber plötz-
lich entfärbte er sich leicht und seine kräftige Gestalt
zuckte betroffen zusammen; allein nur einen Äugenblick,
dann nahm er, wenn auch mit sichtlichem Widerstreben,
den gefüllten Becher in die leise zitternde Hand. Einen
Moment zögerte er, das Gefäß an die Lippen zu setzen,
dann aber, wie von einem plötzlichen Entschluß ge-
trieben, trank er das heilkräftige Naß. Der eigentüm-
liche Vorgang war nicht unbemerkt geblieben, fragend
schauten sich die Znnächststehenden an, aber niemand
vermochte Aufschluß zu geben.
Als in den achtziger Jahren die vielbesuchte hygie-
nische Ausstellung in Berlin stattfand, hatte Karlsbad
außer den Plänen seinex Kur- und Quellenanlagen,
Brunnen- und Badehüusern auch eine interessante
Sammlung historischer Merkwürdigkeiten, namentlich
von Bechern, aus denen berühmte Persönlichkeiten ge-
trunken, nach der deutschen Reichshauptstadt gesandt.
IlLnstrirte Welt.
darunter auch den mit einer Kornblume geschmückten
Porzellanbecher, welchen der König während seines drei-
maligen Aufenthaltes in Karlsbad benützt hatte. Der
Becher war natürlich ausschließlich für den Monarchen
bestimmt und befand sich in der Verwahrung seines
Arztes, des Geheimerates Dr. Preist in Karlsbad. Wäh-
rend eines Rundganges in der Ausstellung bemerkte
der König auch das ihm wohlbekannte Trinkgefäß,
nahm es herab und sagte leuchtenden Blickes zu seiner
Umgebung:
„Aus diesem Becher habe ich mir Genesung ge-
trunken, aber er weckt auch in mir die Erinnerung an
einen seltsamen, fast unheimlichen Vorgang."
Und nun erzählte der Monarch seinen Begleitern,
daß er einst in Karlsbad geträumt habe, ein fremder,
schwarzgekleideter Mann werde ihn vergiften. Als er
in den Morgenstunden zum Brunnen gekommen sei,
habe er während des Gesprächs mit der Fürstin Dolgo-
rucki nicht daraus geachtet, wer ihm den Becher stille,
und erst als er ihn in Empsang genommen, habe-er
zu seinem Erstaunen bemerkt, daß nicht wie stets, das
Vrunnenmädchen, sondern ein ihm unbekannter schwarz
gekleideter Mann ihn bedient hatte. Da sei ihm der
Traum eingefallen und er habe sich eines leichten
Schreckens nichl erwehren können, das Zusammentreffen
sei doch gar zn eigentümlich gewesen. Einige Augen-
blicke habe er geschwankt, ob er trinken solle, dann aber
hätte er seine Bedenken überwunden und den Becher
geleert, natürlich ohne den geringsten Nachteil. Der
unheimliche schwarze Mann aber sei nichts weniger als
ein Giftmischer, sondern der harmlose Brunnenwürter
gewesen, welcher für die plötzlich erkrankte Sprudel-
nymphe den Dienst übernommen hatte.
Wer weiß, ob dieser immerhin sonderbare Vorgang
im Munde des Volkes nicht eine derartige Wandlung
erfährt, daß er dereinst im grauen Nebelgewande der
Sage erscheint. Die Heldengestalt Kaiser Wilhelms
umgibt schon jetzt der verklärende Nimbus unsterb-
lichen Ruhmes, und sie wird späteren Geschlechtern
wie ein Heros erscheinen, ebenbürtig den gewaltigen
Recken des Nibelungenliedes, ebenbürtig Hermanns des
Cheruskers und Friedrich Barbarossas. Und gerade
seinen Lieblingen drückt das Volk gern den Epheukranz
der Sage aufs Haupt und umgibt sie mit dem Schleier
romantischer Mythe; die edelste der Künste aber, die
Poesie, verherrlicht sie mit ihren schönsten Epen voll
hinreißenden dithyrambischen Schwunges.
Freilich, die Zeit ist vorüber, von welcher der
Dichter sagt:
„Weiland war ein jedes Dorf
Heimgesucht durch seine Geister,
Jeder Weiler frug um Rat
Seinen Spuk- und Hexenmeister.
Seinen Kobold, sein Gespenst
Barg ein jedes Schloß im Grunde,
Und das Alter fabelte
Gern davon mit regem Munde —"
aber wenn auch die Leuchte der Aufklärung die Nacht
des Aberglaubens mehr und mehr erhellt, wenn auch
keine Kobolde und Gespenster für sterbliche Augen sicht-
bar mehr umgehen, — die Sage läßt sie fortleben in
den Hütten des Volkes wie in den Prunkgemächern der
Fürstenpaläste.
Der Angarten in Wien.
(Bild S. 640.)
Ein Fest voll Pracht und Herrlichkeit und reich an originellen
Reizen, dabei erfüllt von dem erfrischenden Geiste echter Volks-
tümlichkeit, sand neulich in dem prächtigen grünen Eden Wiens,
dem „Augarten", statt, den unser Bild dem Leser vorführt.
Zwei Damen der Aristokratie, die geniale Fürstin von Metternich
und die edle Förderin alles Guten, die Gräfin Kielmansegg,
hatten sich vereint, um der Wohlthätigkeit reiche Gaben aus dem
Ertragnisse dieses Festes zuzuführen. Keinen schöneren Platz
hätte das Konnte für dieses Fest wählen können als den Au-
garten, den Kaiser Joseph vor etwa 120 Jahren den Wienern
erschlossen und über dessen Eingangsthor er die schönen Worte
geschrieben: „Allen Menschen gewidmeter Belustigungsort von
ihrem Schätzer." Im Sinne des großen Kaisers handeln die
beiden hochgebornen Damen, die an der Spitze des Konnte stehen
und hingebungsvoll die schwere, sorgenvolle Last des Arrangements
eines so großartigen Festes auf sich nahmen. Wer sich der Armen
annimmt, wer für die Pflege der Kranken sorgt, wer den Lei-
denden, den Hilflosen eine Stütz: bietet in der Nacht der Ver-
zweiflung, der ist ein Schützer der Menschheit im schönsten,
edelsten Sinne des Wortes, und je höher der steht, der Barm-
herzigkeit übt, je tiefer er von den glanzvollen Stufen des eigenen
Daseins herabsteigen muß, um in die Hütten der Armut und
des Elends zu gelangen, desto größer wird sein Verdienst, desto
lichtvoller erscheint seine That. Die Kaiser Joseph-Terrasse, das
Lieblingsplätzchen des großen Kaisers, das erst kürzlich ver-
schwunden ist, hat der Zeichner als weihevolle Reminiszenz dem
Bilde beigefügt.
Zolim oder die Macht der Fiebe.
Novelle aus dem Zigeunerleben
I.
asda *) Nikanor war der reichste Bauer in dem
ganzen großen Dorfe Bagrdan. Seine Felder
dehnten sich von seinem Obstgarten bis zu
dem beinahe eine halbe Stunde von demselben
entfernten Moravaufer aus. Seine südlich von dem
Dorfe gelegenen Weingärten waren mit Reben edelster
Sorten bepflanzt, deshalb standen Nikanors Weine immer
bedeutend höher im Preise als jene seiner Anrainer.
Im Frühjahre rissen sich die Bauern förmlich um die
Rebensetzlinge aus seinem Weingarten. Der nahe ge-
legene, ringsherum von einem hohen Zaun umgebene
Eichenwald mit Riesen von ehrwürdigem Alter be-
herbergte jahraus jahrein eine nach Hunderten zählende
Schweineherde, die schon an sich selbst ein Vermögen
reprüsentirte. Sein größter Schatz aber war die acht-
zehnjährige Justine, seine einzige Tochter. Nikanor
hatte wohl auch einen Sohn, aber er verkehrte mit
demselben gar nicht. Er hatte ihn studiren lassen,
jedoch nicht in der Absicht, sich denselben dadurch zu
entfremden, sondern um ihn dadurch über andere
Bauernsöhne des Dorfes zu erheben und aus ihm einen
tüchtigen Landwirt zu machen, der vermöge seiner
Kenntnisse den einst zu übernehmenden ausgedehnten
Besitz, den Stolz des Vaters, aus die höchste Stufe
der modernen Wirtschaftskultur bringen sollte. Der
Vater denkt, der Sohn aber lenkt, bleibt in der Stadt,
wird Gerichtsschreiber und heiratet ohne Wissen der
Eltern ein aufgeblasenes Stadtkind, welches ihm nichts
anderes zubrachte als einen Hausen Stolz und ein
Wörterbuch von Ansprüchen. Daß Branko, so hieß
Nikanors Sohn, Schreiber geworden, hätte der Vater
leicht verschmerzt, weil er sich gedacht hätte, daß er
davon bald satt sein und reumütig in das väterliche
Haus zurückkehren werde; aber ohne Wissen und
Wollen der Eltern zu heiraten, das überschritt schon
die Grenzen des denkbar größten Leichtsinns. Der
Sohn heiratet, ohne dem Vater davon zu melden.
Unerhört! Ist es doch des Vaters unbestrittenes Recht,
dem Sohne eine ihm passende Lebensgefährtin zu finden.
Er hätte ja auch nichts dagegen gehabt, wenn sich
Branko eine Gattin ausgesucht und dem Vater hievon
Mitteilung gemacht Hütte, damit dieser, von seinem
väterlichen Rechte Gebrauch machend, vor den Vater
oder Vormund seiner künftigen Schwiegertochter ge-
treten wäre und dieselbe für seinen Sohn zur Gattin
begehrt hätte. Nichts von dem! Er erfuhr die ihm
von seinem Sohne zugefügte unverdiente Zurücksetzung
durch fremde Leute. Deshalb machte er so, als ob er
keinen Sohn Hütte, und wenn ihn jemand nach dem-
selben fragte, so stellte er sich, als ob er die Frage
nicht gehört Hütte, oder er drehte sich um und ging
von dannen.
Die Eltern übertrugen deshalb all ihre Liebe auf
ihre Tochter. Justina verdiente aber auch die Liebe
derselben im vollsten Maße, denn sie war in allem
das Muster eines guten Kindes. Zudem war sie von
einer unter den Landmüdchen seltenen Schönheit. Kein
Wunder daher, daß sich die erwachsene männliche Dorf-
jugend in der Würmern Jahreszeit fast jeden Abend
vor dem Hause des Gasda Nikanor versammelte und
in der landesüblichen Weise nach den einfachen Tönen
einer Hirtenpseife Kolotänze**) ausführte. Die Laute
der Flöte lockten bald auch die Dorfschönen herbei, und
dann wechselte Tanz mit Gesang vor dem Hause des
reichen Bauers oft stundenlang.
Justina behandelte alle Burschen des Dorfes mit
gleicher Freundlichkeit, aber auch mit gleicher Zurück-
haltung. Keiner derselben konnte sich auch uur der
geringsten Begünstigung rühmen. Doch, doch! Es
war einer im Dorfe, der ihrem Herzen näher stand,
als alle anderen, vielleicht näher als ihre eigenen
Eltern. Aber dieser eine kam nicht zum Tanze, oder
wenn er ausnahmsweise einmal erschien, so that er
so, als ob er Justina gar nicht kenne.
Am östlichen Ende des Dorfes, hart an der von
Belgrad über Nisch und Sofia nach Konstantinopel
führenden Reichsstraße stand ein anspruchsloses Bauern-
haus, hinter welchem sich zwei Wirtschaftsgebäude von
bescheidenem Umfange erhoben. Nach dem letzteren zu
urteilen, gehörte der Besitzer dieses Anwesens unter
die sogenannten Kleinbauern oder Halbhübler. Der
Eigentümer desselben hieß Kosta Brka oder Brkin
Koja, wie man ihn allgemein nannte. Brkin Kvja
2°) Der Titel eines wohlhabenden nnd angesehenen Mannes, der
aber kein öffentliches Amt bekleidet.
Der Serbe kennt nnr einen Tanz, das Kolo (Kreis, Rad). Die
Variationen desselben bestehen in dem langsameren oder schnelleren
Tempo.