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AllustrirLe Weit.
Wer das Naturell des Zigeuners kennt, wird leicht
begreifen, daß der „Zigeunerkönig" seine Stammes-
genossen unmenschlich behandelte, an denselben Erpres-
sungen verübte und die ihm erteilte Macht auf jede
erdenkliche Art und Weise mißbrauchte. Der regie-
rende Fürst Michael Obreuv-
witsch III. (ermordet am
10. Juni 1868 im Toptschi-
derer Hirschparke) hat diese
Institution ausgehoben und
die Zigeuner seinen übrigen
Unterthemen gleichgestellt.
Nach der Beseitigung der von
der Negierung ernannten Zi-
geunerbehörden wählten die
Zigeuner ihr Oberhaupt. Der
gewählte Vajda hatte jedoch
keine Machtbefugnisse mehr,
sondern war vielmehr nur
noch eine Erinnerung an die
Vergangenheit. Änfangs
konnte nur ein vermögender
Zigeuner Vajda werden, weil
die Wahl desselben, beson-
ders m der ersten Zeit, kost-
spielig war. Die .Zigeuner
ließen sich ihre Stimmen gut
bezahlen. Mit der Zeit wurde
die Würde des Vajda immer
weniger begehrenswert, bis
sich schließlich niemand mehr
darum kümmerte.
Die umherziehenden Zi-
geuner sind nicht so arm, als
man im allgemeinen glaubt.
Nicht die Armut ist es, die
sie zur steten Wanderung
zwingt, sondern der ihnen
angeborene Wandertrieb. Ich
hatte Gelegenheit, bei denselben schwerwiegende Gold-
rollen, zu sehen. Das Geld verwahren immer die
Weiber; die Männer verfügen höchstens über einiges
Kleingeld.
Im Wirtshause ist der. Zigeuner stets ein will-
kommener Gast, denn derselbe ist im stände, erstaun-
liche Mengen alkoholhaltiger Getränke zu vertilgen.
Er feilscht nicht und bezahlt das Gereichte stets sofort.
Wenn der Zigeuner ins Wirtshaus kommt, so bringt
er seine ganze "Familie mit. Nehmen mehrere Familien
an dem Trinkgelage teil, so endet das Fest von hun-
dert Füllen bestimmt neunundneunzigmal mit einer
solennen Keilerei, wobei die anwesenden Weiber,
Weiblein und Kinder ein fürchterliches Jndianergeheul
erheben. Nach dem „Drusch" waschen sich die dabei
Beteiligten von dem Blute rein und suchen entweder
in bestem Einvernehmen ihre Zelte auf oder beginnen
von neuem zu trinken. Bei den Zigeunern ist eine
ordentliche Unterhaltung ohue Prügelei nicht deutbar.
Originell ist die Heirat bei den Zigeunern. So-
bald die Väter über die Verbindung ihrer Kinder
einig sind, verläßt die Braut das Zelt ihrer Ange-
hörigen und begibt sich zu ihren angehenden Schwieger-
eltern — auf die Probe, welche je nach dem Ueberein-
kommen der Väter von sechs
Monaten bis zu einem Jahre
dauert. Nach der absolvirten
Probezeit wird die Verlobung
und drei Wochen darauf die
Vermählung mit größtmög-
lichem Pomp gefeiert. Wenn
es bei einem Festgelage recht
toll zugeht, so sagt der Orien-
tale, daß eine Zigeunerhoch-
zeit abgehalten würde.
Ehescheidungen kommen
bei den Zigeunern nicht vor;
dagegen sind gegenseitiger
Tausch oder Verpachtung der
Frauen aus eine bestimmte
Zeit mit der Einwilligung
derselben nichts Seltenes.
Vor den Behörden hat der
Zigeuner eine große Furcht
und kommt denselben bei
jeder Berührung mit ihnen
kriechend entgegen. Er nennt
die öffentlichen Funktionäre
nie bei ihrem richtigen Titel,
sondern dichtet ihnen aller-
hand hochklingende Prädikate
an. Diese allgemeine Furcht-
samkeit mag in dem Umstande
seinen Grnnd haben, daß jeder
Zigeuner mehrere oder weni-
gere noch nicht bekannt ge-
wordene, mehr oder minder
schwerwiegende, aber noch
nicht abgebüßte Gesetzesverletzungen auf seinem Gewissen
hat und jeden Augenblick verraten zu werden fürchten
muß.
Der Orientale gibt sich mit den Zigeunern ungern
und nur so viel ab, als er eben muß. Er betrachtet
seinen braunen Mitmenschen nicht als seinesgleichen und
behandelt ihn auch darnach. Will er seinen Widersacher
Prinz Karl von Hohenzoüern und Prinzessin Josephine von Belgien.
Transport des Fesselballons von der Lnftschifferabtcrlnng. Origmalzeichnung von E. Ho sang. (S. 631.)
AllustrirLe Weit.
Wer das Naturell des Zigeuners kennt, wird leicht
begreifen, daß der „Zigeunerkönig" seine Stammes-
genossen unmenschlich behandelte, an denselben Erpres-
sungen verübte und die ihm erteilte Macht auf jede
erdenkliche Art und Weise mißbrauchte. Der regie-
rende Fürst Michael Obreuv-
witsch III. (ermordet am
10. Juni 1868 im Toptschi-
derer Hirschparke) hat diese
Institution ausgehoben und
die Zigeuner seinen übrigen
Unterthemen gleichgestellt.
Nach der Beseitigung der von
der Negierung ernannten Zi-
geunerbehörden wählten die
Zigeuner ihr Oberhaupt. Der
gewählte Vajda hatte jedoch
keine Machtbefugnisse mehr,
sondern war vielmehr nur
noch eine Erinnerung an die
Vergangenheit. Änfangs
konnte nur ein vermögender
Zigeuner Vajda werden, weil
die Wahl desselben, beson-
ders m der ersten Zeit, kost-
spielig war. Die .Zigeuner
ließen sich ihre Stimmen gut
bezahlen. Mit der Zeit wurde
die Würde des Vajda immer
weniger begehrenswert, bis
sich schließlich niemand mehr
darum kümmerte.
Die umherziehenden Zi-
geuner sind nicht so arm, als
man im allgemeinen glaubt.
Nicht die Armut ist es, die
sie zur steten Wanderung
zwingt, sondern der ihnen
angeborene Wandertrieb. Ich
hatte Gelegenheit, bei denselben schwerwiegende Gold-
rollen, zu sehen. Das Geld verwahren immer die
Weiber; die Männer verfügen höchstens über einiges
Kleingeld.
Im Wirtshause ist der. Zigeuner stets ein will-
kommener Gast, denn derselbe ist im stände, erstaun-
liche Mengen alkoholhaltiger Getränke zu vertilgen.
Er feilscht nicht und bezahlt das Gereichte stets sofort.
Wenn der Zigeuner ins Wirtshaus kommt, so bringt
er seine ganze "Familie mit. Nehmen mehrere Familien
an dem Trinkgelage teil, so endet das Fest von hun-
dert Füllen bestimmt neunundneunzigmal mit einer
solennen Keilerei, wobei die anwesenden Weiber,
Weiblein und Kinder ein fürchterliches Jndianergeheul
erheben. Nach dem „Drusch" waschen sich die dabei
Beteiligten von dem Blute rein und suchen entweder
in bestem Einvernehmen ihre Zelte auf oder beginnen
von neuem zu trinken. Bei den Zigeunern ist eine
ordentliche Unterhaltung ohue Prügelei nicht deutbar.
Originell ist die Heirat bei den Zigeunern. So-
bald die Väter über die Verbindung ihrer Kinder
einig sind, verläßt die Braut das Zelt ihrer Ange-
hörigen und begibt sich zu ihren angehenden Schwieger-
eltern — auf die Probe, welche je nach dem Ueberein-
kommen der Väter von sechs
Monaten bis zu einem Jahre
dauert. Nach der absolvirten
Probezeit wird die Verlobung
und drei Wochen darauf die
Vermählung mit größtmög-
lichem Pomp gefeiert. Wenn
es bei einem Festgelage recht
toll zugeht, so sagt der Orien-
tale, daß eine Zigeunerhoch-
zeit abgehalten würde.
Ehescheidungen kommen
bei den Zigeunern nicht vor;
dagegen sind gegenseitiger
Tausch oder Verpachtung der
Frauen aus eine bestimmte
Zeit mit der Einwilligung
derselben nichts Seltenes.
Vor den Behörden hat der
Zigeuner eine große Furcht
und kommt denselben bei
jeder Berührung mit ihnen
kriechend entgegen. Er nennt
die öffentlichen Funktionäre
nie bei ihrem richtigen Titel,
sondern dichtet ihnen aller-
hand hochklingende Prädikate
an. Diese allgemeine Furcht-
samkeit mag in dem Umstande
seinen Grnnd haben, daß jeder
Zigeuner mehrere oder weni-
gere noch nicht bekannt ge-
wordene, mehr oder minder
schwerwiegende, aber noch
nicht abgebüßte Gesetzesverletzungen auf seinem Gewissen
hat und jeden Augenblick verraten zu werden fürchten
muß.
Der Orientale gibt sich mit den Zigeunern ungern
und nur so viel ab, als er eben muß. Er betrachtet
seinen braunen Mitmenschen nicht als seinesgleichen und
behandelt ihn auch darnach. Will er seinen Widersacher
Prinz Karl von Hohenzoüern und Prinzessin Josephine von Belgien.
Transport des Fesselballons von der Lnftschifferabtcrlnng. Origmalzeichnung von E. Ho sang. (S. 631.)