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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 1.1912

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I.2
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Silberer, Herbert: Märchensymbolik
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https://doi.org/10.11588/diglit.42094#0189

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Ober Märchensymbolik

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nämlich das Wunder in der ersten Szene (Opferblut) und das
Pflanzen des Rosenstockes <der an die bedeutsamen Reiser mancher
Märchen gemahnt) beziehen sich eins wie das andere auf das Seelen»
leben der Träumerin. Als mir der Traum brieflich mitgeteilt wurde,
versuchte ich, ermuntert durch allerlei typische Übereinstimmungen
in der Traumhandlung, den Traum zu deuten, ohne mich
vonPaula über ihre gegenwärtigen äußeren und
innern Erlebnisse im mindesten informieren zu
lassen. Ich kam zu dem Schluß, daß Paula einen sexuellen Ver»
kehr aufgenommen* haben müsse, der, ohne Vorsichtsmaßregeln
(Präservative) betrieben, ihr Angst vor den Folgen einjage, weil
die Periode auf sich warten lasse. Meine Vermutung fand
sich glänzend bestätigt. Als ich nämlich einige Wochen
später mit Paula über den Traum sprach und eine leise An»
deutung meiner Vermutung machte, eröffnete sie mir voll Staunen,
daß sie seither tatsächlich einem Manne sich hingegeben habe
und daß sie zurZeit des Traumes genau jene Be»
fürchtungen hatte, die ich aus d e r T r au m s p r a c h e
erschlossen. Zwar war zur Zeit des Traumes der sexuelle Ver»
kehr noch nicht aufgenommen, aber die erwähnten Ge»
danken beschäftigten Paula aufs lebhafteste. Der
Traum spiegelt nicht das geschehene Faktum, sondern das Vor»
haben und die sich daran knüpfenden Phantasien.
Die charakteristischen Stellen im Traum, die mich zu meiner
Deutung brachten, habe ich im Druck hervorgehoben, kann aber auf
eine ausführliche Analyse, die sehr viel Raum einnehmen würde,
nicht eingehen, obgleich die manchen Leser vielleicht
kühn anmutende Deutung erst durch sie ihre
zwingende Logik erhielte**. Ich will nur kurz anführen, daß
Altar an Traualtar, daß Tisch an Bett denken läßt,- daß ferner die
scheinbar überflüssige Hervorhebung »nicht in feierlichen Gewändern«
beachtenswert ist und in Verbindung mit anderen Momenten den
Mangel der Präservative (die von Paula auch Überzieher genannt
werden) erkennen läßt/ daß das offene Schriftstüdc (auseinander»
gefaltet) die Vagina bedeutet, in der die Bluterscheinung sich voll»
ziehen soll,- daß ferner im Traume mehrmals die Gerufenen nicht
kommen, insbesondere die »Gnädige« nicht — die Periode ist
nicht so g n ä d i g, sich einzustellen,- daß weiters eine Mutterleibs»
und Geburtsphantasie (ängstliches Passieren enger Gänge) in den
Traum verwoben ist,- daß endlich Todesgedanken in den Traum
hineinspielen. Beschränken wir uns auf ein paar Bemerkungen über
das Blut und den Rosenstamm.
* Sie hatte längere Zeit hindurch im Sexualverkehr ausgesetzt.
** Es ist immer eine mißliche Sache, das Ergebnis einer
Traumanalyse ohne diese selbst mitzuteilen, denn es fehlen dann
die zur Rechtfertigung des Ergebnisses nötigen Bindeglieder. Da ich aber heute
keine analytische Beweisführung, sondern bloß den Vergleich von Traum» mit
Märchenmotiven vorhabe, mag die umständliche Analyse entfallen.
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