Juli-Heft.
Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.
Seite 117.
Selbst wenn nun der ausführende Künstler den Tisch in dieser
Grundform ganz im Stile der Renaissance konzipiren wollte,
so würde dennoch kein Renaissance-Möbel daraus entstehen,
sondern ein durchaus neu und eigenartig gestaltetes Stück.
Der Künstler würde aber auch, wenn sonst ihn ein richtiges
Formgefühl leitet, sehr bald merken, dass er mit den Renais-
sanceformen allein bei diesem Möbel nicht auszukommen
vermag. In dem achteckigen Grundriss liegt ein Fortschritt
gegenüber dem rechteckigen Grundriss der Renaissance, und
dieser Fortschritt lässt sich mit den Formen der Renaissance
nicht erfassen. Mögen zehnmal die Kunst-Schriftsteller sagen,
das Barock sei eine Entartung, eine Verballhornung der
es ja klar und deutlich: die Mängel unserer Möbel beruhen
auf der veralteten Grundform. Kulturell sind wir fortge-
schritten, unser Leben ist vielseitiger, unser Verkehr viel-
gestaltiger geworden; aber die Grundformen unserer Kunst
sind die alten geblieben — wir kennen in der Architektur,
wie in der Innen-Dekoration noch immer nur 4 Seiten, ein
Vorn und Hinten, ein Rechts und Links. Und doch werden
wir in Leben und Verkehr täglich von einer ganzen Menge
Seiten angegriffen. Soll und will die Kunst dem nicht Rechnung
tragen? Dann wird sie dem Volke immer fremder werden.
Also zurück zu Barock und Rokoko! Nicht nachahmen
wollen wir diese Stilarten, sondern fortbilden, ausgestalten
Professor G. RIEGELMANN, Berlin. Holz-Schnitzereien aus dem Treppen-Hause. (Paris 1900J.
Renaissance — wenn wir dem Barock nichts weiter zu ver-
danken hätten, als die Bereicherung der Grundrissformen, so
wäre dies allein schon genügend, das Barock als eine höhere
Entwickelung des Stils anzuerkennen gegenüber den voran-
gegangenen Stilarten der Gothik und der Renaissance.
Damit aber ist auch der Weg gefunden, auf dem wir
zur Höhe eines neuen zeitgemässen, nationalen Stils fortzu-
schreiten vermögen. Wie die Engländer müssen wir umkehren
und da wieder anfangen, wo wir stehen geblieben sind: beim
Barock und Rokoko. »Seit Rokoko gibt es keinen Stil mehr«,
klagt Streiter. Gut, wenn wir dies einsehen, so müssen wir
diese ganze »schreckliche«, die stillose Zeit ausstreichen aus
unserem Gedächtniss und uns zurückversetzen in den Formen-
reichthum jener Kunst-Periode, mit der unser selbständiges
Kunstschaffen aufgehört hat. Das angeführte Beispiel zeigt
gemäss den Anforderungen des modernen Lebens. Und wenn
wir auf diesen Stilarten, wie sie sich in Deutschland selbst-
ständig entwickelt haben, weiter bauen, dann werden wir
auch zu dem zeitgemässen, nationalen Stile, den wir seit
einem halben Jahrhundert ersehnen, gelangen können, denn
es sind gerade die deutschthümlichen Elemente dieser Stile,
die wir bei der Innen-Dekoration zu verwenden suchen müssen:
die möglichste Vermeidung der dem Deutschen so verhassten
geraden Linie, die Vieleckigkeit der Grundfläche, die Betonung
der im deutschen Karakter so tief begründeten Vertikale, die
Unregelmässigkeit des Gesammt-Eindrucks ,(das malerische
Moment). Und diese Elemente gewähren zugleich die Fähig-
keit, die Form dem Willen, Bedürfniss und Geschmack des
Einzelnen anzupassen, sie einfacher oder reicher zu gestalten,
und doch dabei »stilgerecht« zu bleiben. So erhalten wir
Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.
Seite 117.
Selbst wenn nun der ausführende Künstler den Tisch in dieser
Grundform ganz im Stile der Renaissance konzipiren wollte,
so würde dennoch kein Renaissance-Möbel daraus entstehen,
sondern ein durchaus neu und eigenartig gestaltetes Stück.
Der Künstler würde aber auch, wenn sonst ihn ein richtiges
Formgefühl leitet, sehr bald merken, dass er mit den Renais-
sanceformen allein bei diesem Möbel nicht auszukommen
vermag. In dem achteckigen Grundriss liegt ein Fortschritt
gegenüber dem rechteckigen Grundriss der Renaissance, und
dieser Fortschritt lässt sich mit den Formen der Renaissance
nicht erfassen. Mögen zehnmal die Kunst-Schriftsteller sagen,
das Barock sei eine Entartung, eine Verballhornung der
es ja klar und deutlich: die Mängel unserer Möbel beruhen
auf der veralteten Grundform. Kulturell sind wir fortge-
schritten, unser Leben ist vielseitiger, unser Verkehr viel-
gestaltiger geworden; aber die Grundformen unserer Kunst
sind die alten geblieben — wir kennen in der Architektur,
wie in der Innen-Dekoration noch immer nur 4 Seiten, ein
Vorn und Hinten, ein Rechts und Links. Und doch werden
wir in Leben und Verkehr täglich von einer ganzen Menge
Seiten angegriffen. Soll und will die Kunst dem nicht Rechnung
tragen? Dann wird sie dem Volke immer fremder werden.
Also zurück zu Barock und Rokoko! Nicht nachahmen
wollen wir diese Stilarten, sondern fortbilden, ausgestalten
Professor G. RIEGELMANN, Berlin. Holz-Schnitzereien aus dem Treppen-Hause. (Paris 1900J.
Renaissance — wenn wir dem Barock nichts weiter zu ver-
danken hätten, als die Bereicherung der Grundrissformen, so
wäre dies allein schon genügend, das Barock als eine höhere
Entwickelung des Stils anzuerkennen gegenüber den voran-
gegangenen Stilarten der Gothik und der Renaissance.
Damit aber ist auch der Weg gefunden, auf dem wir
zur Höhe eines neuen zeitgemässen, nationalen Stils fortzu-
schreiten vermögen. Wie die Engländer müssen wir umkehren
und da wieder anfangen, wo wir stehen geblieben sind: beim
Barock und Rokoko. »Seit Rokoko gibt es keinen Stil mehr«,
klagt Streiter. Gut, wenn wir dies einsehen, so müssen wir
diese ganze »schreckliche«, die stillose Zeit ausstreichen aus
unserem Gedächtniss und uns zurückversetzen in den Formen-
reichthum jener Kunst-Periode, mit der unser selbständiges
Kunstschaffen aufgehört hat. Das angeführte Beispiel zeigt
gemäss den Anforderungen des modernen Lebens. Und wenn
wir auf diesen Stilarten, wie sie sich in Deutschland selbst-
ständig entwickelt haben, weiter bauen, dann werden wir
auch zu dem zeitgemässen, nationalen Stile, den wir seit
einem halben Jahrhundert ersehnen, gelangen können, denn
es sind gerade die deutschthümlichen Elemente dieser Stile,
die wir bei der Innen-Dekoration zu verwenden suchen müssen:
die möglichste Vermeidung der dem Deutschen so verhassten
geraden Linie, die Vieleckigkeit der Grundfläche, die Betonung
der im deutschen Karakter so tief begründeten Vertikale, die
Unregelmässigkeit des Gesammt-Eindrucks ,(das malerische
Moment). Und diese Elemente gewähren zugleich die Fähig-
keit, die Form dem Willen, Bedürfniss und Geschmack des
Einzelnen anzupassen, sie einfacher oder reicher zu gestalten,
und doch dabei »stilgerecht« zu bleiben. So erhalten wir