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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

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Klien, Rudolf: Kultur und Kunst - Weltausstellungs-Betrachtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0163

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XI. Jahrg. 1900.

Darmstadt.

August-Heft.

Kultur unp Kunst. * Veltausstellungs-BetrachtungeN.

Wenn man nun zurückschaut auf die Kunstwandlungen
des 19. Jahrhunderts, so wird man finden, dass sie,
zusammengedrängt, beinahe noch einmal den Entwickelungs-
lauf darstellen, den die bildenden Künste im letzten Jahr-
tausend durchgemacht; doch rastlos, ohne Ruhe, ohne zur
Ruhe zu kommen: weil der innige Kulturzusammenhang
fehlte. Weil der Kulturzusammenhang fehlte, ist die ganze
Kunstentwickelung des 19. Jahrhunderts nichts wie ein einziger
pädagogischer Neuerungszug. Doch nicht allein der fehlende
Kulturzusammenhang war es, der eine Schule in raschem
Wechsel die andere überwinden Hess, das karakteristische
Merkmal des Jahrhunderts, der naturwissenschaftliche Geist
bildet die Ergänzung. Er lenkte die Künstler von Schule
zu Schule zu viel auf die Aeusserlichkeiten der Dinge, infolge-
dessen dann auch vornehmlich in technischen Neuerungen
das Einzige liegt, das diese Kunst vor der der grossen Zeiten
in etwa voraus hat, während anderseits dieser naturwissen-
schaftliche Geist noch verderblicher einwirkte, indem seine zer-
setzende Thätigkeit statt aufzubauen, gerade jedes kultur-
fördernde Fundament einer Welt-Anschauung untergrub, und
so die Gesammtheit hoffnungslos auseinanderführte in einen
Individualismus, ein heilloses Wirrsal und Zersplitterung.

Um auf den Beginn zurückzugreifen: mit der franzö-
sischen Revolution wurde die alte Zeit zu Grabe geläutet.
Zwischen ihr und der neuen schiesst die Feuersäule Napoleon
empor, die beiden Zeiten verbindend, Napoleon, die letzte
Verkörperung der alten Macht im Sinne der neuen Zeit. Die
denkbar grössten Umwälzungen standen vor der Thür. Mythos
und Kultus, die Triebfedern der alten Kunst, existirten längst
nicht mehr und das Neue, das das Wesen der kommenden
Kunst bilden sollte, der Geist wissenschaftlicher Forschung,
der Geist Darwin's hatte sich noch nicht kondensirt und

versuchte nur mählich festen Fuss zu fassen. In dieser Halt-
losigkeit fiel der Kunstgeist zurück, sich an eine alte sicher
verbürgte Kunst-Tradition klammernd, die Antike, statt ihrem
Wesen nach zu verstehen, äusserlich als das Maass der Dinge
aufstellend. Im ganzen Mittelalter und der Renaissance hatte
die Antike nie aufgehört zu wirken, doch diese Zeiten, die
auf einer eigenen Kultur beruhten, nahmen dieselbe in sich
auf, sie gewissermaassen seelich verdauend. Am Anfang des
19. Jahrhunderts kam es anders. Die kulturelle Haltlosigkeit
war die Ursache, dass die gerade damals beginnende Geschicht-
forschung — die damals noch nicht so weit war, um, was
später ihr Ruhm, die Antike als Etwas klimatisch und kulturell
nur einmal mögliches zu betrachten — die Antike »als das
Maass der Dinge« nach Europa importirte, wodurch jene
triviale, klassizistische Maskerade eingeleitet wurde. Es unter-
liegt keinem Zweifel: die Antike ist der Höhepunkt der
Kunst; aber ebensowenig unterliegt es einem Zweifel, dass
jede Kunst, der eigenen Kultur und Zeit entsprechend, auf
eigenem Wege diese Höhe erreichen muss, und dass die Kunst
nie entfernter von dieser Höhe war, wie gerade in jener
klassizistischen Epoche am Anfange des 19. Jahrhunderts. Wie
oft hingegen und in welchen Epochen die Kunst jene Höhe
der Antike erreicht hat, das soll im Verlauf erwähnt werden.

Wenn ich zu Eingang dieser Auseinandersetzung er-
wähnte, die Kunst habe im letzten Jahrhundert ihrem Wesen
nach zusammengedrängt, die Hauptwandlungen des letzten
Jahrtausend noch einmal durchgemacht, so trifft diese Behaup-
tung natürlich nur dann zu, wenn man — was die klassizistische
Periode am Anfang des Jahrhunderts bedingt — die Begriffe
Antike mit Gothik vertauschen würde, die nämlich, psycho-
logisch betrachtet, dasselbe sind. Die Gothik war, gleich
der Antike, eine durchaus ?</z-individuelle Kunst, in der das

1900. VIII. 1.
 
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