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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

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Klien, Rudolf: Kultur und Kunst - Weltausstellungs-Betrachtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0165

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August-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 123.

L£on BoCHOMS, Verviers.

Blick in einen Speise-Saal.

die Instinkte, nicht mehr vom Intellekt gebändigt, verwilderten,
trat Sokrates auf: nun tritt Luther auf und lenkt sie in neue
Bahnen, das Recht des Einzeln auf eine neue Art proklamirend.
Jede Allgemeinheit zwischen den Individuen ist damit gelöst
und auf geistigem Gebiet jene Bahn beschritten, die im l
19. Jahrhundert ihren Abschluss gefunden in wissenschaft-
licher und künstlerischer Beziehung, obgleich er auf künst-
lerischem Gebiet eigentlich im 17. Jahrhundert in Holland mit
Rembrandt vorübergehend seinen Höhepunkt erreicht. In
Rembrandt hat der protestantische individualistische Geist (der
im 19. Jahrhundert im naturwissenschaftlichen Geist seine
Blüthe und seinen Abschluss gleichzeitig findet) vorübergehend
jenen Höhepunkt in der Kunst erreicht, den die Kunst vordem
in der Antike erreichte; bei den besten Meistern der Gothik;
bei Rafael und Holbein. Nach Rembrandt aber geht die
individuelle Verwilderung los, die bis auf unsere Tage
gedauert und in den »wissenschaftlichen« Kunstexperimenten
des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht —; gegen
welche Kunstrichtungen man nun allenthalben Front zu
machen beginnt. Im 17. Jahrhundert witterten die Jesuiten
sogleich die Gefahr des neuen Geistes und versuchten ver-
gebens die Allgemeinheit wieder herzustellen, die Revolution
kam, die kunstmordenden Naturwissenschaften hielten ihren
Einzug, welche Entwickelung, der man ihre göttliche, uns
bereichernde Mission keineswegs absprechen kann, nun aber
zu Ende ist und wir allenthalben das Bedürfniss des Zusammen-
schliesscns fühlen, um als Gesammtheit auf der Basis einer
neuen, durch die Wissenschaft bereicherten Weltanschauung,
einen Schritt vorwärts zu machen in eine neue Kulturperiode
hinein mit einer neuen Kunst, die im grossen Kontur der

Antike auf nationale Weise die Gattung repräsentirt, wie sie
ehedem Mythos und Kirche verkörpert haben.

Die Kunst des 19. Jahrhunderts war der Naturalismus.
Keine der Parallelströmungen hat seine Bedeutung. Und
dennoch ist dieser Naturalismus als Kunst im Prinzip durchaus
nicht weiter wie der Naturalismus des 17. Jahrhunderts, der
in Rembrandt seinen Höhepunkt feiert, abgesehen davon,
dass der heutigen Naturalisten Keiner des Rembrandt Grösse
erreicht. Wenn der Naturalismus des 19. Jahrhunderts nun
doch etwas vor dem des 17. Jahrhunderts voraus hat, so liegt
dies einzig und allein in der Optik der Farbe, mit der der
Geist der Naturwissenschaften den modernen Künstler, wo-
fern er ein echtes Kind seiner Zeit war, mühelos beschenkte.
Das durch Luthers Geist vollends befreite Individuum, über-
haupt der »protestantische Geist«, erreichte nur ein einziges
Mal und zwar in Rembrandt eine klassische Kunsthöhe. Als
nach vielen Irrungen der wissenschaftliche Geist des 19. Jahr-
hunderts, der der direkte Erbe jenes Luther-Geistes ist, die
Kunst wieder auf die gleiche Bahn zurückführte, konnte er
ihm, den modernen Forschungen parallel, nur noch technische
Neuerungen hinzufügen — während diesem neuen Naturalismus
jene historische »Grösse« des Rembrandt schon vollends ab-
geht, jene »historische Grösse«, die an Stelle von Mythos
und Kultus bei Rembrandt getreten ist. Und in diesem Mangel
innerer Grösse, der die Folge des Mangels einer einheitlichen
Kultur, liegt das grosse Weh aller neueren Kunst. Der
Naturalismus des 19. Jahrhunderts hat die Kunst bereichert
— ganz abgesehen davon, dass er sie nach zahllosen Ver-
irrungen wieder auf die richtige Bahn gelenkt — aber die
Bereicherung war nur technisch. Der neue grosse Inhalt fehlt.
 
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