Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 30.1919

DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Goethe über Farbenwirkung im Innenraum
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10021#0384

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
364

INNEN-DEKORATION

haltung mit einer gewissen Dame sich geändert habe,
seit sie die blauen Möbel ihres Salons durch karminrote
ersetzt habe. — Als generelle Einteilung verzeichnet
Goethe: Die Farben von der Plus-Seite: Gelb, Rotgelb
(Orange), Gelbrot (Zinnober) stimmen regsam, lebhaft,
strebend. Die Farben von der Minus-Seite: Blau, Rot-
blau, Blaurot (Violett) stimmen zu einer unruhigen,
weichen, sehnenden Empfindung.

Gelb in seiner höchsten Reinheit ist als Umgebung
(Kleid, Vorhang, Tapete) angenehm; hat die Natur des
Hellen, besitzt eine heitere, muntere, sanft reizende
Eigenschaft; macht einen warmen, behaglichen Eindruck.
Gelbrot (Zinnober). Hier steigert sich die angenehme,
heitere, reizende Eigenschaft des Gelben bis zum uner-
träglich Gewaltsamen; äußerst aktive Farbe, bevorzugt
von energischen, gesunden, rohen Menschen und Natur-
völkern; Flächen in Gelbrot springen stark heraus; die
Farbe bohrt sich förmlich ins Organ und bringt eine un-
glaubliche Erschütterung hervor; beunruhigende, erzür-
nende Wirkung auf Tiere. Blau. Hat Gelb immer
etwas Licht, so ist Blau mit dem Dunkel verwandt; gibt
ein Gefühl von Kälte; blaue Flächen weichen vor dem
Beschauer zurück; wirkt trotz seiner Kälte anziehend,
weil es uns gewissermaßen nach sich zieht, in die Ferne;
Zimmer, die rein blau austapeziert sind, erscheinen ge-
wissermaßen weit, aber eigentlich leer und kalt. Blau-
rot (Violett). Sehr unruhige Farbe; man kann wohl

behaupten, daß eine Tapete von einem ganz reinen, ge-
sättigten Blaurot eine Art von unerträglicher Gegenwart
sein müsse. Rot (Purpur, Karmin). Vereinigt in ge-
wissem Sinne auf einem Höhepunkte die anregenden
Eigenschaften der Plus-Farben mit den dämpfenden der
Minus-Farben; in dunklem, verdichtetem Zustand voll
Ernst und Würde; in hellem, verdünntem Zustand Huld
und Anmut; eine Umgebung von dieser Farbe ist immer
ernst und prächtig. Grün. Farbe realer Befriedigung;
wenn beide Mutterfarben (Gelb und Blau) sich in der
Mischung genau das Gleichgewicht halten, dergestalt,
daß keine vor der andern bemerklich ist, so ruht das
Auge und das Gemüt auf diesem Gemischten wie auf
einem Einfachen. Man will nicht weiter, man kann nicht
weiter. Deswegen für Zimmer, in denen man sich immer
befindet, die grüne Farbe zur Tapete meist gewählt wird.«

Dies etwa sind die für uns interessanten Bemer-
kungen des Aufsatzes »Sinnlich-sittliche Wirkung der
Farbe«. Kurz vorher klassifiziert Goethe schon einmal
die Gefühls- und Empfindungs-Analogien, wie sie sich
auf die Plusgruppe (Gelb und Ableitungen) und die
Minusgruppe (Blau und Ableitungen) verteilen: Gelb:
Wirkung, Licht, Hell, Kraft, Wärme. Nähe, Abstoßen,
Verwandtschaft mit Säuren. Blau: Beraubung, Schat-
ten, Dunkel, Schwäche, Kälte, Ferne, Anziehen, Ver-
wandtschaft mit Alkalien. — Auch dies eine interessante,
wichtige Tabelle für den, der als Innenkünstler praktische
 
Annotationen