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Die ursprüngliche Höhe der Statuette, als gleich dem modernen Postament und
der Oberhgur angenommen, betrug etwa $o mm, der jetzige Abstand von der Hut-
spitze bis zur Bruchfläche am rechten Knie mifst 44 mm. Es ist richtig, dafs die
Rechte einen Stab schräg hielt; der Hohlgang beweist es. Die Linke aber hielt
nichts, es ist auch nichts abgebrochen; sie ist geschlossen, nicht als Faust, sondern
die Spitzen von Daumen und Zeigefinger berühren sich, also eine ausdrucksvolle
Geberde, die zu erklären bleibt.
Die Proportion der Figur ist eher schlank, der Hals lang wie bei den
vorgebeugt Sitzenden der schwarzfigurigen Vasenbilder. Doch kann man den Körper
nicht überall mager nennen; die Muskulatur des Rückens (welcher leider nicht mit
abgebildet werden konnte) ist kräftig entwickelt, und der Leib hat sogar etwas
Volles und fast Weiches (doch innerhalb der Schranken einer kräftigen Männlich-
keit), der Nabel liegt tief eingebettet. Die Modellirung ist mit Liebe gearbeitet,
wenn sie auch die Vollendung der im vorigen Jahrgange dieser Zeitschrift auf
Tafel Q neuerdings reproducirten Bronze Tux nicht erreicht; die Seiten des Brust-
kastens und die Füfse sind nicht durchgebildet. Das Gesicht ist fein modellirt,
besonders Unterstirn und Bekleidung der Brauen kräftig ausgewölbt, die Unterlippe
entschieden Umschnitten. In Übereinstimmung mit der Keilform des Bartes liegen
die Enden des Schnurrbartes in der Weise des reifenden Archaismus an den Mund-
winkeln im rechten Winkel herunter. Die Ohren sitzen sehr hoch, hart unter dem
Rande des Pilos, unter welchem ein knappgehaltener Haarkranz hervorsieht. Die
Bildung des Haares am Kopf und der reichlichen Pubes ist gleich alter Stil.
A. S. Murray, dessen Liebenswürdigkeit mir bei einem Besuche des British
Museum die Veröffentlichung des werthvollen Figürchens als ein Xenion anbot,
hatte es vor Jahren aus seinem Versteck unter den »römischen Bronzen« hervor-
geholt und unter den griechischen an ehrenvollem Platz (Schrank 48) aufgestellt;
auf das Postament ließ er, nicht ohne vorsorglich beigefügtes Fragezeichen, den
Namen Philoktetes setzen. Die vorgebückte Haltung, die Concentration auf
Einen Punkt, welcher eben der linke Fuß schien, das einstige Vorhandensein eines
Gegenstandes in der Rechten (es konnte der Bogen sein), der verhaltene Schmerz,
auf welchen sowohl die Schliefsung der Linken, als auch die Öffnung des Mundes
und das Muskelspiel der Stirn sich deuten liefs, alles dies konnte auf den einsamen
Leidenden von Lemnos weisen. Nur die Wunde, oder der typische Wundverband
blieb in Gedanken zu ergänzen. Diese Erklärung legte im Verein mit der Stil-
bestimmung den Namen des Pythagoras auf die Zunge, und der Verfasser der
e/* glaubte sich auch hier des Vergleiches mit
dem selinuntischen Giganten mit Vortheil bedienen zu können. Natürlich konnte
der Name jenes Erzbildners höchstens zur Stilbezeichnung, nicht aber zur Sach-
erklärung festgehalten werden, da Pythagoras seinen Philoktet bekanntermaßen
nicht sitzend sondern hinkend schreitend (V<%?7ZV<??W)w) gegeben hat.
Nun früge sich zunächst, ob vielleicht der auf Parrhasios zurückgeführte
Typus des trauernd auf einem Fels sitzenden Philoktet (sv Avjawp xstWt, vgl. Milani
Die ursprüngliche Höhe der Statuette, als gleich dem modernen Postament und
der Oberhgur angenommen, betrug etwa $o mm, der jetzige Abstand von der Hut-
spitze bis zur Bruchfläche am rechten Knie mifst 44 mm. Es ist richtig, dafs die
Rechte einen Stab schräg hielt; der Hohlgang beweist es. Die Linke aber hielt
nichts, es ist auch nichts abgebrochen; sie ist geschlossen, nicht als Faust, sondern
die Spitzen von Daumen und Zeigefinger berühren sich, also eine ausdrucksvolle
Geberde, die zu erklären bleibt.
Die Proportion der Figur ist eher schlank, der Hals lang wie bei den
vorgebeugt Sitzenden der schwarzfigurigen Vasenbilder. Doch kann man den Körper
nicht überall mager nennen; die Muskulatur des Rückens (welcher leider nicht mit
abgebildet werden konnte) ist kräftig entwickelt, und der Leib hat sogar etwas
Volles und fast Weiches (doch innerhalb der Schranken einer kräftigen Männlich-
keit), der Nabel liegt tief eingebettet. Die Modellirung ist mit Liebe gearbeitet,
wenn sie auch die Vollendung der im vorigen Jahrgange dieser Zeitschrift auf
Tafel Q neuerdings reproducirten Bronze Tux nicht erreicht; die Seiten des Brust-
kastens und die Füfse sind nicht durchgebildet. Das Gesicht ist fein modellirt,
besonders Unterstirn und Bekleidung der Brauen kräftig ausgewölbt, die Unterlippe
entschieden Umschnitten. In Übereinstimmung mit der Keilform des Bartes liegen
die Enden des Schnurrbartes in der Weise des reifenden Archaismus an den Mund-
winkeln im rechten Winkel herunter. Die Ohren sitzen sehr hoch, hart unter dem
Rande des Pilos, unter welchem ein knappgehaltener Haarkranz hervorsieht. Die
Bildung des Haares am Kopf und der reichlichen Pubes ist gleich alter Stil.
A. S. Murray, dessen Liebenswürdigkeit mir bei einem Besuche des British
Museum die Veröffentlichung des werthvollen Figürchens als ein Xenion anbot,
hatte es vor Jahren aus seinem Versteck unter den »römischen Bronzen« hervor-
geholt und unter den griechischen an ehrenvollem Platz (Schrank 48) aufgestellt;
auf das Postament ließ er, nicht ohne vorsorglich beigefügtes Fragezeichen, den
Namen Philoktetes setzen. Die vorgebückte Haltung, die Concentration auf
Einen Punkt, welcher eben der linke Fuß schien, das einstige Vorhandensein eines
Gegenstandes in der Rechten (es konnte der Bogen sein), der verhaltene Schmerz,
auf welchen sowohl die Schliefsung der Linken, als auch die Öffnung des Mundes
und das Muskelspiel der Stirn sich deuten liefs, alles dies konnte auf den einsamen
Leidenden von Lemnos weisen. Nur die Wunde, oder der typische Wundverband
blieb in Gedanken zu ergänzen. Diese Erklärung legte im Verein mit der Stil-
bestimmung den Namen des Pythagoras auf die Zunge, und der Verfasser der
e/* glaubte sich auch hier des Vergleiches mit
dem selinuntischen Giganten mit Vortheil bedienen zu können. Natürlich konnte
der Name jenes Erzbildners höchstens zur Stilbezeichnung, nicht aber zur Sach-
erklärung festgehalten werden, da Pythagoras seinen Philoktet bekanntermaßen
nicht sitzend sondern hinkend schreitend (V<%?7ZV<??W)w) gegeben hat.
Nun früge sich zunächst, ob vielleicht der auf Parrhasios zurückgeführte
Typus des trauernd auf einem Fels sitzenden Philoktet (sv Avjawp xstWt, vgl. Milani