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Schäfer, Georg
Kunstdenkmäler im Grossherzogthum Hessen: Inventarisirung und beschreibende Darstellung der Werke der Architektur, Plastik, Malerei und des Kunstgewerbes bis zum Schluss des XVIII. Jahrhunderts: Provinz Starkenburg: Kreis Erbach — Darmstadt, 1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.18295#0244

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KREIS ERBACH

Langhaus zum Chorraum führende Triumphbogen deutet in den primitiven Formen
der Pfeilerkämpfer entschieden auf romanischen Ursprung. Gegenüber der kraftvollen
Massenhaftigkeit dieser Strukturtheile sind Eindeckung, Bedachung und Dachreiter
jüngere Ergänzungen, denen man die Bedrängniss der Zeit ansieht, welche es unter-
nahm, mit den kärglichsten Mitteln dem äussersten Nothstand abzuhelfen, nachdem
im dreissigjährigen Kriege die Flammen den Oberbau ergriffen und das Gotteshaus
in eine Ruine verwandelt hatten. Das Dachwerk wetteifert an Dürftigkeit mit den
ärmlichen Fachwänden des baufälligen Glockenthürmchens. Mitten im Langhaus
wird die kunstlose Flachdecke durch einen achteckigen Holzpfeiler gestützt, welcher
sammt den derben Emporen dem 18. Jahrhundert angehören mag. Aus der näm-
lichen Zeit stammen die rundbogigen Fenster; es sind Erweiterungen der alten
schmalen Lichtöffnungen, von denen zwei mit leisen Spitzbogenschlüssen erhalten
sind. — Der Chor erhebt sich um vier Stufen über dem Fussboden des Langbaues.
Ob diese Erhöhung aus dem ansteigenden Terrain des das Kirchlein umgebenden
Friedhofes zu erklären ist, ob aus dem etwaigen Vorhandensein einer kleinen Krypta
oder einer Sepultur unter dem Chor, kann nur durch Nachgrabungen festgestellt
werden. Die Ausstattung des Altarraumes zeigt, dass dieser Bautheil auch Einwir-
kungen der Gothik erfahren hat. Dieser Stilweise folgt die in der nördlichen Innen-

o O

wand angebrachte Sakramentsnische, welche von gedoppelter Hohlkehlengliederung
umrahmt ist und in einen Dreipassgiebel ausläuft. In den beiden unteren Pässen
sind fünfstrahlige Sterne, im oberen Pass eine Rosette ausgehauen. Die Bossen
auf den Giebelschrägen sind nur angedeutet; die Kreuzblume auf der Giebelspitze
ist noch in schwachem Ansatz vorhanden. Das Ganze ist von handwerksmässiger
Ausführung. -— Neben dem Sakramentshäuschen ist eine kleinere Rundbogennische
in das Mauerwerk eingelassen, die möglicher Weise vor der grösseren gothischen
Nische als Sanktuarium oder auch als Repositorium für Altargeräthe diente. Ihr
entspricht auf der südlichen Chorseite in ähnlicher Nischenform die Piscina, ein
kleines Steinbecken zum Ablauf des für rituelle Handwaschungen gebrauchten
Wassers. — Die an den Chorwänden stellenweise sichtbaren Spuren von Bemalung
scheinen ornamentaler Art gewesen zu sein und verwehren durch ihren ruinösen
Zustand jeden Rückschluss auf stilistische Beschaffenheit.

Taufstein Neben dem auf der Nordseite befindlichen spitzbogigen, einfach abgefasten

Eingang des Gotteshauses liegt im Freien das von Moos überwucherte, sandsteinerne
alte Taufbecken von nahezu i m Durchmesser. Wohl fehlt es dem Werke an
jeglicher künstlerischer Zier; dennoch verläugnet die konische Form und die derbe
Wucht der Ausführung in keinem Zuge die romanische Herkunft aus der frühesten
parochialen Zeit der Kirche. Jetzt werden nur Leichenandachten in dem Gottes-
hause gehalten.

Mühlhäuser In einiger Entfernung südlich von Raibach erhebt sich aus dem vom Breiten-

Schlösschen

bach durchflossenen Thalgrunde die Ruine des Mühlhäuser Schlösschens, so
genannt nach dem nahe dabei gelegenen Dörfchen Mühlhausen (1382 Mulnhausen,
1424 Mulhusen). In keiner Urkunde des Mittelalters ist eine Nachricht darüber
enthalten. So mag es gekommen sein, dass die neuere Zeit das trümmerhafte
Gebäude bald für ein Römerwerk, bald für den Ueberrest einer Kapelle hielt.
 
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