persönlich —fast gar peinlich; die Landschaft
ist nicht zu Ende vorgestellt — es war wohl
einer der im Leben des Marees so häufigen
und immer häufigeren Momente, wo die Vor-
stellung sich in einer Eklipsis verlor, wo sie
keine Tragweite hatte, sondern im Undefinier-
ten vorzeitig und schwermütig abbrach. Aber
eins muß man mit Wonne bekennen: die Eva
dieser Ekloge ist ein Frauenbild von köstlicher
Fülle des Lebendigen und sinnlich Anmutenden :
ganz und gar frauliche Substanz, real über
alle Möglichkeiten des Naturalismus hinaus
(der den Mann gebildet hat); viel wirklicher
als die Modellpose und Modellrealität des Man-
nes. Keine Ignuda des Giorgione hat mehr
weibliche Essenz, auch keine Venezianerin des
Cinquecento ist „bild-schöner", schöneres Bild.
Im dünstend Venezianischen dieses Bildes hat
Marees den Typus seiner Vollkommenheit gebil-
det : sein Bild konnte nicht wohl einem höheren
formalen Begriff entsprechen, konnte nicht wohl
eine größere Wahrheit des Stils, des Apriori-
schen, des Geistes darstellen und zugleich mehr
Leben enthalten, mehr Substanz; mehr mensch-
liche Erfahrung und zugleich — wagen wir hier
noch einmal das gefährliche Wort — mehr Stil.
Oder doch? Verführt unseren Blick der
ideale und dennoch so reale Reiz dieser Frau,
die mit bloßem Dastehen bezaubert? Und ist
am Ende jenes andere Frauenbild noch schö-
ner, das in der Mitte der achtziger Jahre, als
Werk des Späten, dem Tode schon Nahen ent-
stand und „Unschuld" benannt wurde (Abb.
S. 69) ? Sündigen wir dennoch einen Augen-
blick gegen den heiligen Geist der Kunst, wenn
wir das frühere, das impulsivere Frauenbild
dem späteren Mädchenbild (nicht Frauenbild)
voranstellen? Der metaphysische Duft des spä-
ten Bildes bezwingt die obersten Affekte des
Schauenden. Das Bild (als Bild) ist von einer
Vollkommenheit, die dem späten Marees vom
Geschick nicht immer gegönnt war. Man darf
auch nicht einmal behaupten, dem Bilde fehle
aller sinnliche Glanz — es sei das Bild eines
Alternden, dem die Gewebe trockener werden.
Aber es ist wohl eher so zu sagen: das Sinn-
liche ist nicht mehr unmittelbar in die Reali-
tät eines fraulichen Leibes gefangen, der dar-
gestellt wird; sondern das Sinnliche ist aus
der Unmittelbarkeit des Fleisches in die Schön-
heit der malerischen Materie hinübergegangen ;
es ist ins Mächtig-Pittoreske übersetzt; es ist
in die Üppigkeit und Herrlichkeit einer male-
rischen Paste gefangen, die ähnlich, allenfalls
vergleichbar, sonst fast nur im Reich des Rem-
brandt vorkommt.
Wie wollen wir nun aber wählen zwischen
Eva und der Unschuld, der die Metaphysik
des Nordens in den edlen Leib geschrieben
ist. . . . Wir können gar nicht wählen. Wir
können es nicht. Wann überhaupt können
Menschen wirklich wählen?
Man wird sagen müssen: in diesem Maler
war beides — und beide Kräfte bilden Pole
seines Wesens, Enden und Anfänge seiner Kraft,
Elemente seiner Erfahrung, die vom Sinnlichen
zum Geistigen hinübergespannt wurde. Dies
wird man endlich wissen — mehr nicht. Oder
noch dies (das eigentlich dasselbe ist und also
nicht mehr) : man liest die Pole in den Bild-
nissen, in denen Marees sich selbst geliebt,
verabscheut, erhoben und gerichtet hat. Dort
sind die Elemente eingetragen.
Von Hause aus war diesem Maler, dem das
nordische Element so sehr im Blute umlief wie
das jüdische und das französische, der meta-
physische Anblick der Dinge nicht fremd.
Dürfen wir das Bildnis des Herrn mit dem
Zwicker in die Frühe setzen, so ist eine meta-
physische Vorstellung vom Menschen und zu-
mal vom menschlichen Gesicht dem frühen
Marees offenbar eingeboren: nicht nur Akquisit
der Erfahrung späterer Jahre, nicht nur Akqui-
sit eines Paulus, der vordem ein Saulus war —
bis er vom Hengst stürzte. Dies Bildnis,
diese schwerbewegliche, ein wenig mario-
nettenhafte Büste ist von der Unheimlichkeit
eines Geistes. Man möchte es einem Maler
geben, der in der Mühle des Rembrandt ge-
wesen wäre; der aber nicht nur Holland und
England und Skandinavien, sondern auch die
Russen des Gogol, des Saltykow, des Dosto-
jewskij gefühlt hätte. Es ist ein durchaus un-
heimliches, durchaus nördlich-östliches Bild. Es
entstand „gen Mitternacht".
Doch um dieselbe Zeit erfaßt Marees ein-
mal vom eigenen Wesen fast nur die sinnlich-
empfindsame, die westliche, etwa die gallische
Seite: im Selbstbildnis von 1862 (Abb. S. 65).
Man darf auch sagen: die verbindliche, die ele-
gante, die gefällige Seite. (Wiewohl in jener
frühen Epoche auch wieder das schrecklich
mokante Selbstbildnis mit Lenbach entstehen
kann.) Die schöne Malerei des jugendlichen
Selbstbildnisses von etwa 1862 entspringt oder
mündet im Verbindlichen; bewegt sich — wenn
man den Vergleich mit einem Vorbehalt macht,
der die moralische und künstlerische Superiori-
tät des Marees feststellt — sozusagen im van-
Dyckischen Kreise. Ein schönes, ein höchst
angenehmes Bild. Doch nicht ein gefährliches
Bild. Bildnis eines sinnlich und geistig wohl-
äquilibrierten Marees : sozusagen der griechische
Augenblick, der polykletische Moment dieses
späterhin so arg erschütterten und zerspaltenen
Lebens. Marees als Doryphoros.
7°
ist nicht zu Ende vorgestellt — es war wohl
einer der im Leben des Marees so häufigen
und immer häufigeren Momente, wo die Vor-
stellung sich in einer Eklipsis verlor, wo sie
keine Tragweite hatte, sondern im Undefinier-
ten vorzeitig und schwermütig abbrach. Aber
eins muß man mit Wonne bekennen: die Eva
dieser Ekloge ist ein Frauenbild von köstlicher
Fülle des Lebendigen und sinnlich Anmutenden :
ganz und gar frauliche Substanz, real über
alle Möglichkeiten des Naturalismus hinaus
(der den Mann gebildet hat); viel wirklicher
als die Modellpose und Modellrealität des Man-
nes. Keine Ignuda des Giorgione hat mehr
weibliche Essenz, auch keine Venezianerin des
Cinquecento ist „bild-schöner", schöneres Bild.
Im dünstend Venezianischen dieses Bildes hat
Marees den Typus seiner Vollkommenheit gebil-
det : sein Bild konnte nicht wohl einem höheren
formalen Begriff entsprechen, konnte nicht wohl
eine größere Wahrheit des Stils, des Apriori-
schen, des Geistes darstellen und zugleich mehr
Leben enthalten, mehr Substanz; mehr mensch-
liche Erfahrung und zugleich — wagen wir hier
noch einmal das gefährliche Wort — mehr Stil.
Oder doch? Verführt unseren Blick der
ideale und dennoch so reale Reiz dieser Frau,
die mit bloßem Dastehen bezaubert? Und ist
am Ende jenes andere Frauenbild noch schö-
ner, das in der Mitte der achtziger Jahre, als
Werk des Späten, dem Tode schon Nahen ent-
stand und „Unschuld" benannt wurde (Abb.
S. 69) ? Sündigen wir dennoch einen Augen-
blick gegen den heiligen Geist der Kunst, wenn
wir das frühere, das impulsivere Frauenbild
dem späteren Mädchenbild (nicht Frauenbild)
voranstellen? Der metaphysische Duft des spä-
ten Bildes bezwingt die obersten Affekte des
Schauenden. Das Bild (als Bild) ist von einer
Vollkommenheit, die dem späten Marees vom
Geschick nicht immer gegönnt war. Man darf
auch nicht einmal behaupten, dem Bilde fehle
aller sinnliche Glanz — es sei das Bild eines
Alternden, dem die Gewebe trockener werden.
Aber es ist wohl eher so zu sagen: das Sinn-
liche ist nicht mehr unmittelbar in die Reali-
tät eines fraulichen Leibes gefangen, der dar-
gestellt wird; sondern das Sinnliche ist aus
der Unmittelbarkeit des Fleisches in die Schön-
heit der malerischen Materie hinübergegangen ;
es ist ins Mächtig-Pittoreske übersetzt; es ist
in die Üppigkeit und Herrlichkeit einer male-
rischen Paste gefangen, die ähnlich, allenfalls
vergleichbar, sonst fast nur im Reich des Rem-
brandt vorkommt.
Wie wollen wir nun aber wählen zwischen
Eva und der Unschuld, der die Metaphysik
des Nordens in den edlen Leib geschrieben
ist. . . . Wir können gar nicht wählen. Wir
können es nicht. Wann überhaupt können
Menschen wirklich wählen?
Man wird sagen müssen: in diesem Maler
war beides — und beide Kräfte bilden Pole
seines Wesens, Enden und Anfänge seiner Kraft,
Elemente seiner Erfahrung, die vom Sinnlichen
zum Geistigen hinübergespannt wurde. Dies
wird man endlich wissen — mehr nicht. Oder
noch dies (das eigentlich dasselbe ist und also
nicht mehr) : man liest die Pole in den Bild-
nissen, in denen Marees sich selbst geliebt,
verabscheut, erhoben und gerichtet hat. Dort
sind die Elemente eingetragen.
Von Hause aus war diesem Maler, dem das
nordische Element so sehr im Blute umlief wie
das jüdische und das französische, der meta-
physische Anblick der Dinge nicht fremd.
Dürfen wir das Bildnis des Herrn mit dem
Zwicker in die Frühe setzen, so ist eine meta-
physische Vorstellung vom Menschen und zu-
mal vom menschlichen Gesicht dem frühen
Marees offenbar eingeboren: nicht nur Akquisit
der Erfahrung späterer Jahre, nicht nur Akqui-
sit eines Paulus, der vordem ein Saulus war —
bis er vom Hengst stürzte. Dies Bildnis,
diese schwerbewegliche, ein wenig mario-
nettenhafte Büste ist von der Unheimlichkeit
eines Geistes. Man möchte es einem Maler
geben, der in der Mühle des Rembrandt ge-
wesen wäre; der aber nicht nur Holland und
England und Skandinavien, sondern auch die
Russen des Gogol, des Saltykow, des Dosto-
jewskij gefühlt hätte. Es ist ein durchaus un-
heimliches, durchaus nördlich-östliches Bild. Es
entstand „gen Mitternacht".
Doch um dieselbe Zeit erfaßt Marees ein-
mal vom eigenen Wesen fast nur die sinnlich-
empfindsame, die westliche, etwa die gallische
Seite: im Selbstbildnis von 1862 (Abb. S. 65).
Man darf auch sagen: die verbindliche, die ele-
gante, die gefällige Seite. (Wiewohl in jener
frühen Epoche auch wieder das schrecklich
mokante Selbstbildnis mit Lenbach entstehen
kann.) Die schöne Malerei des jugendlichen
Selbstbildnisses von etwa 1862 entspringt oder
mündet im Verbindlichen; bewegt sich — wenn
man den Vergleich mit einem Vorbehalt macht,
der die moralische und künstlerische Superiori-
tät des Marees feststellt — sozusagen im van-
Dyckischen Kreise. Ein schönes, ein höchst
angenehmes Bild. Doch nicht ein gefährliches
Bild. Bildnis eines sinnlich und geistig wohl-
äquilibrierten Marees : sozusagen der griechische
Augenblick, der polykletische Moment dieses
späterhin so arg erschütterten und zerspaltenen
Lebens. Marees als Doryphoros.
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