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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 39.1923-1924

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Hausenstein, Wilhelm: Über einige Bilder von Hans von Marées
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https://doi.org/10.11588/diglit.14151#0079

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HANS VON MAREES

AMAZONEN. ZEICHNUNG

Ausstellung der Galerie Thannkauser, München

Um 1874 ist endgültig das andere erlebt — das
eben, was gegen das Gleichgewicht gerichtet
ist; das eben, was die Wage in eine Diagonale
zwischen Himmel und Erde, Himmel und Hölle
verstellt. Der junge, altkluge Marees hinter dem
Lenbach ist noch eine Art von mokanter Al-
lüre; aufgesetzt, so schneidend die Allüre auch
immer sein mag. Aber hier, in dem Selbstbildnis
mit dem steifen Hut, ist dem Menschen und
dem Maler alle Mokerie gründlich vergangen
(Abb. S. 72). Das Schicksal selbst hat ihn
durchgelaugt: er macht (macht) nicht mehr das
bittere Gesicht; sondern er ist (ist) bitter, ist
es, in allen Fasern seines Wesens. Der letzte
Rest des Geistreichen ist aus dem Bitteren ge-
tilgt; das Bittere ist rein nur es selbst. Welch
ein verkannter Ritter! Welch ein verkannter
Seigneur! Welch ein Hidalgo! Das Leben hat
ihm keine Abenteuer, sondern anstatt der Aben-
teuer nur bürgerliche und proletarische Miseren
gegeben. Dieser feudale Herr (dem beinahe
auch etwas von der Linie eines altpreußischen
Offiziers in Zivil eingeschrieben ist) hat die
Farben der Damen tragen wollen — gut-

gläubig ; aber die Even waren nicht immer
die Oase gewesen; und ach — er selbst muß
nicht immer etwas anderes als (durch Schick-
sal) ein schrecklicher Quälgeist gewesen sein . . .
So ist, im Stil des ig. Jahrhunderts, mithin
nur beiläufig, aus dem Hidalgo ein Knecht
des Lebens geworden, ein Kreuzträger, ein
nicht eben gesegnetes Stück von einer imi-
tatio Christi in einem Winkel von Rom; aus
den schönen Larven der Sinne kam ein —
vielleicht trotz allem Martyrium des Frag-
mentarischen und Mißglückten schönerer —
Asket, schlimmheiliger Asket hervor. Diese
Schmalheit und Abgezehrtheit eines Gesichts,
das vom Vergessen des Essens, vom Hunger,
von den Schmerzen, von der Enthaltung des
Begierigen und wieder Mißvergnügten, auch
des Unbemittelten, von der Ironie, der Kaustik
und von allen heimlichen Begeisterungen ge-
prägt ist! Ein Mann, der neben einem echten
Kaiser reiten könnte, um in der ersten Reihe
der Krönung im Lateran beizuwohnen, wird
aus den Träumen in die Wirklichkeiten eines
deutschen Malers im Rom von 1880 weggesprengt

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