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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 40.1924-1925

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Hausenstein, Wilhelm: Einige Anmerkungen über die Plastiken des Edgar Degas
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https://doi.org/10.11588/diglit.14152#0128

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taatliche Museen

EINIGE ANMERKUNGEN ÜBER DIE PLASTIKEN DES EDGAR DEGAS

Im Atelier des Malerzeichners Degas find nach
feinem Tode zweiundfiebzig plaftifche Skiz-
zen gefunden worden. Sie find NA aehs. Die
Jahre haben ihnen einigermaßen gefchadet; fie
lind zum Teil ein wenig verdorben; aber dem
\A efenüichen der bildnerifchen Gefamterfchei-
nung, zumeift auch dem einzelnen, ift nichL
Eintrag getan. Adrien Hebrard, ein Freund des
Künltlers, goß die Wachsfkizzen in Bronze;
jedes Modell — fofern wir richtig unterrichtet
find — wurde zwanzigmal gegoffen; jedem
Modell ift aufs genauelte die Form und Farbe
des Originals gegeben. Das Petit Palais in Paris
befitzt eine voll [tändige Reihe.

Das Eigentümliche und Außerordentliche die-
fer plaftifchen Entwürfe ift ihre Promptheit:
das unmittelbare Dafein, die unmittelbare jälie
Gegenwärtigkeit. Ein Küuftler kann die Dinge
durch die Form gleichfam entfernen. Dies ge-
fchah oft; dann ftanden die Werke, die im
W erk dargeftellten Dinge in beruhigendem,
auch allzu beruhigendem Ahltand vom Be-
fchauer. Dem Werk und feinem Gegenftaud.
den es vermittelt, war das Aktuelle genommen,
das Aufregende entzogen. Hier nun, bei Degas,
gefchah das Gegenteil. Recht eigentlich find
diefe plaftifchen Dinge zur äußerften Aktualität
aufgerufen. Aktualität — man wolle den Begriff
richtig verliehen. Es handelt fich nicht um eine
Aktualität in modifchem Sinne, in irgendeinem
zeitgefchichtlichcn Sinne, der vorübergellt. Es
handelt lieh um Aktualität in einem fozufagen
bedingungsfofen Sinn: um Aktualität fchlecht-
hin. um Senfationelles fchlechthin (im heften
\ erftande). Es handelt fich eben um das, was
vorhin als ein ungemeines Maß des Promp-
ten, der A ergegenwärtigung bezeichnet wurde:
um ein jähes, unmittelbares Da-Seiu der Figu-
ren. I^s gibt wohl keinen anderen Ausdruck.
Der Begriff des „Prompten" bezeichnet diefe
Dinge fehr wohl — oder eben der gleichbedeu-
tende Begriff des Aktuellen oder Senfationellen.
Mit folchen Begriffen wird auf das höchft
Direkte abgezielt, das den Auftritt diefer Figu-
ren und ihre W irkung auf uns zu etwas fo 13c-

Es tei mit dielcm Anfiätz auch nachdrücklich auf die neue
Ausgabe des „Degas" von Julius Meier-Graefe (hei EL Piper &
Co. in München) verwiefen. —

fonderem und Aufregendem macht. Noch ein-
mal: es ift das Prompte.

Dies Prompte ift aber ein zur Einheit verbun-
denes Doppeltes. Dies Prompte ift gegenftänd-
lieh und es ift — durchaus zugleich — formal.
Es wäre natürlich unfinnig, die beiden Tat-
fachen umftändlich auseinanderlegen zu wollen,
da fie im W erk doch fo tief verbunden find.
Immerhin: es ift wahr, daß beide Formen des
Prompten gefpürt werden — wenn auch in
einer gemeinfchaftlichen, einzigen Verbindung.
Mit einiger \ orficht wird mau alfo von beiden
Motiven des Prompten fprechen dürfen.
*

Das Gegenltändliche; das Sachliche; das Inhalt-
liche. Der Anteil des Meifters an den Dingen
felbft, am Skelett und Fleifch der Frau, an der
Spannung ihrer Bewegungen ift feiner mi1
Händen zu greifen. Muß man dies aus fprechen?
Verlieht es fich nicht von felbft? Es verlieht
fich heute leider gar nicht von felbft. Wir haben
uns mit den Irrtümern des Expreffionismus
weit, weil, verhängnisvoll weit von der Subllanz
der Dinge entfernt (die nun, in der Zeit der
Surrogate, freilich auch recht dünn geworden,
ja faft verfchwunden war — denn wir haben in
langen Jahren ein fubllanzlofes Leben führen
muffen, und die Kunft konnte wohl nichts an-
deres tun, alsdiefemZuftand ideologifcli folgen;.
Degas, gerade Degas der Plaftiker, er noch mehr
als der Malerzeichner, fleht aber in einem ganz
nahen, ganz dichten, atemrauhend dichten Ver-
hältnis zum Stoff. lfm intereffiert die Sublianz
der Frauen, der Pferde; er will es mit der Ma-
terie zu tun haben; fie regt ihn auf. Die Kunfi
beginnt ihm gar nicht als eine Frage des „Stils":
fie beginnt für ihn in der Region des ftofHichen
Erlebens. Und nun konnte man freilich lagen:
wer die Subllanz fo leidenfchaftlicli, ja fo ma-
niakalifch liebt, begehrt wie er, der hat, eben
damit, fchon den erften Schritt zur Form getan.
Solche Leidenfchaft für das Objekt bedeutet
fchon ein formales Verhältnis; dies paffionierte
Abfühlen ilt fchon eine Form. Die Situation ift
fchwierig; man kann ihr mit Worten nicht gut
beikommen;esiftunmöglich.denPunktzufalfen.
an dem das Gegenltändliche der Paffion ein
leidenfchaftliches formales Element wird. Wir

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