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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 40.1924-1925

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Neumann, Carl: Graf Leopold von Kalckreuth: zum 70. Geburtstag des Malers am 15. Mai 1925
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https://doi.org/10.11588/diglit.14152#0317

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GRAF LEOPOLD VON KALCKREÜTH

ZUM 70. GEBURTSTAG DES MALERS AM 15. MAI 1925

Umschwung und Umwertung sind in diesen
Jahren derart gewesen, daß der Gegen-
wartsbetäubte angesichts eines Jubilars von sieb-
zig Jahren den Kopf schüttelt und fragt, ob denn
sein Werk noch lebe. Mit dem alten Reich ist so
vieles von seiner Gesittung, Kultur, Kunst bloß
Geschichte, ja fast Archäologie geworden. Der
Graf Kalchreuth, der lange, vom Vertrauen
der Malersecessionen getragen, Vorstand des
Deutschen Künstlerbundes war, ist der um eine
geringe Zeitspanne jüngere Mitstreiter Max Lie-
bermanns gewesen: mit Liebermann zusammen
von Alfred Lichtwark hauptsächlich berufen,
die „prominenten" Hamburger Persönlichkei-
ten und das Besondere der Hamburger Land-
schaft künstlerisch zu prägen, ist er heute in der
Hamburger Kunsthalle am reichlichsten und ein-
drucksamsten vertreten. Als Bildnis- wie als
Landschaftsmaler hat er sich dort sein Denk-
mal erriclitet und auch unter dem Nachfolger
Lichtwarks, Gustav Pauli, ungestört einen gan-
zen Saal für sich behalten. Die anderen deut-
schen Museen, zumal wo er als Professor an
den Akademien gelehrt hat, Karlsruhe und
Stuttgart, pflegen wenigstens seine Hand zu
weisen. Der Bauer, der auf dem Ackergaul am
Abend heimreitet, fast verloren in die endlosen
Furchen der braunen Erde, mit den weißdichten
Wolkenballen, die über den dunkeln Flächen
glänzen, bleibt bei jedem Besucher der Karls-
ruher Sammlung haften. In der Galerie am
Königsplatz in München hängt ein kleines For-
mat von Kalckreuth, aber sicher eine der Per-
len der Sammlung, der blumenreiche Heidegar-
ten, den sich der Künstler, als er seine Amter
aufgab, am Rand der Lüneburger Heide zwei
Stunden von Hamburg anlegte, dicbt neben dem
Häuschen, das Lichtwark am Wochenende zu
bewohnen pflegte. Mit magischem Zauber ballen
sich aus dem Heidedunst die Formen und Töne,
und vorn schreitet, vom Rücken gesehen, die
Frau des Künstlers mit dem kleinen Kind an
der Hand, in das Rild hinein.
Das Geschlecht, das gegen 1880 jung war, stand
unter den beiden künstlerischen Voraussetzun-
gen des Naturalismus und des Freilichtes. Auf

Farbe war es nicht eingestellt. Auch Leibi und
seine Freunde und Jünger hielten sich nach 1870
auf feingrauer und bräunlicher Tongrundlage.
Das Pleinair vollends im Kampf gegen Werk-
statt- und Galerieton hatte mit seinem Studium
des nüchternen Tageslichtes die Farben ent-
färbt. Kalckreuths Prozession im Regen war ein
Beispiel solcher malerischen Zeitlichkeit. In-
dessen Dauerwerte und Persönlichkeitswerte,
die Jubiläen rechtfertigen, fragen weniger nach
dem zeitlich Bedingten als nach dem Überzeit-
lichen, das Geltung bewahrt. Von dem wech-
selnd europäisch Modischen muß sich uns ein
Deutsch-Besonderes und Charakteristisches ab-
zweigen, das uns zur Verehrung stimmt.
Als vor wenigen Jahren der Neubau des Städel-
schen Instituts in Frankfurt eröffnet wurde, fand
sich Liebermann zwischen die französischen Im-
pressionisten gehängt. Es war ein lehrreicher
Fehlgriff, der seitdem gutgemacht worden ist
Ein deutscher Maler kann sein Leben lang Ma-
nets Spargelbündel bewundern und rühmen.
Hängt man aber Liebermann neben Manet und
Monet und Renoir, so würde ein Ahnungsloser,
der die geringere Schönheit des Vortrags be-
merkt, glauben, minderwertige Franzosen zu
sehen. Erst wenn man die Deutschen hinaus-
bringt und unter sich sieht stößt man auf die
„Schönheiten" und Sonderwerte.
Die Ährenleserinnen von Millet kennt jeder.
Als es entstand, galt es der Pariser Kunstmei-
nung wegen des Gegenstandes, der Darstellung
der Enterbten, als ein revolutionäres Bild und
außer dem Zusammenhang der klassizistischen
Uberlieferung. Dennoch steht das Bild inner-
halb der französischen Uberlieferung. Aus der
Pose der Figuren sieht Poussin hervor. Eine
Ahrenleserin vom Grafen Kalckreuth sieht ganz
anders aus. Mager, dürr und eckig, fast gotisch,
steilt sich da ein junges Mädchen über den Hori-
zont des braunen Feldes. Li dem verlorenen
Profil des Kopfes ruht ein Schimmer von den
jugendlichen Illusionen dieses Alters, die auch
bäuerliche Menschen beglücken. Keine von den
vielen Bauerngestalten, die Kalckreuth gemalt
hat, gibt es, der Seele und Sonderart fehlte.

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