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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 40.1924-1925

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Nasse, Hermann: Zu den Werken des Bildhauers Jean Paul Steinel
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https://doi.org/10.11588/diglit.14152#0333

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ZU DEN WERKEN DES BILDHAUERS JEAN PAUL STE1NEL

Der Künstler, von dem hier die Rede sein soll,
ist von Ausstellungen der allen Secession
im Glaspalast her bekannt. Geborener Heidel-
berger, besuchte er die Kunstschule in Karls-
ruhe und dann die Münchner Akademie der
bildenden Künste, wo er bis 1903, anfangs unter
Ruemann, dann unter Hildebrand sich ausbil-
dete. Es folgten Studienreisen nach Italien und
Griechenland, YV ohnsitz aber blieb München.
Mit den hier abgebildeten V\ erken tritt der
nunmehr Sechsundvierzigjährige mit einer Aus-
wahl des N ichtigsten, seit j 918 Entstandenem,
vor eine breitere Öffentlichkeit. Denn der YY elt-
krieg hatte auch seine Tätigkeil, wie bei so vie-
len, zunächst völlig miterbrochen. Es kann sich
nun nicht darum handeln, einen L berblick über
Steineis gesamtes künstlerisches Schaffen zu
bieten, denn größere und kleinere Arbeiten lie-
gen seit der Akademiezeit in großer Anzahl vor,
sondern nur darum, für einige der wichtigsten
und, sagen wir ruhig, wertvollsten Arbeiten zu
interessieren, die aus den letzten sieben Jahren
vorliegen. Eine allgemeine Bemerkung sei dabei
gestattet: Man kennt die Schwierigkeiten, die
gerade Plastiken der photographischen Wieder-
gabe bieten. Man darf vielleicht sagen, daß kaum
ein auch noch so gutes Photo dem Original
völlig gerecht werden kann. Irgendwo ergeben
sieb immer Verzeichnungen und \ erzerrungen.
Will man ein abschließendes Urleil gewinnen,
so scheue mau nicht die Mühe, die an sich treff-
lichen Abbildungen mit den Originalen zu ver-
gleichen.

Als jene entsetzliche Katastrophe in Oppau das
seit dem Kriege noch jetzt nimmermehr ge-
stillte deutsche Leid für einige W ochen aufs
neue und aufs unbarmherzigste auch da, wo es
vielleicht schon leise schlummerte, jäh und
schrill wieder geweckt halte, da riefen die an
erster Stelle von diesem neuen Leid Betroffenen
unseren Künstler, ihren Landsmann. Sie betrau-
ten ihn mit der gewaltigen und herrlichen Auf-
gabe, ihren schmerzlichen Erlebnissen, ihrem
neu erfahrenen Wissen vom Schicksal und vom
Tode künstlerischen Ausdruck zu verleihen, dem
irdischen Drama künstlerisches Symbol von
Ewigkeitswerl zu formen. Daß sie mit ihrer

\A ahl doch wohl den richtigen Mann getroffen
haben, dürfte zum mindesten die Tatsache er-
weisen, daß einfache Arbeiter, also die Kreise,
die hier in Frage kamen, Stcinel gegenüber mit
ihrer Anerkennung des ausgeführten, hier ab-
gebildeten Y\ erkes nicht zurückhielten. Erhalle
hier sozusagen ein historisches Ereignis im gan-
zen und in seiner ergreifendsten Episode verkör-
pert, jenes nämlich, da eine Mutter ihr ohn-
mächtiges, totgeglaubles Kind aus den Trüm-
mern gerettet in ihren Armen hielt. Und er hat
in seiner Mutter und seinem Kinde die Angst,
die Furcht und das Entsetzen und die Verzweif-
lung nicht nur dieser einen deutschen Mutter,
sondern aller machtvoll symbolisiert So darf
man diese auf einen einfachen Sleinsockel ge-
stellte Bronze, die „den Opfern der Katastrophe
von Oppau" gewidmet ist, Volkskunst im aller-
besten Sinne dieses viel umstrittenen und oft
mißverstandenen Y\ ortes nennen. — Das war
1922. Fassen wir nun die vorher entstandenen
Arbeiten, die Bronzebüsten Prof. Winternitz
und Fürst Schaumburg-Lippe, sowie jene aus
Marmor von Frl. Menzel ins Auge, so dürfte
Klarheit werden über den Ausgangspunkt von
Stemels Kunst. Besonders das edle Profil des
Fürsten Schaumburg-Lippe in seiner prächtig
geschlossenen, medaillengleichen Wirkung be-
zeugt, wie hier Hildebrands „ Problem der Form "
von einem Wahrer der Tradition begriffen und
in Praxis umgesetzt worden ist. Vielleicht zei-
gen aber diese drei W erke auch zugleich, was
an Persönlichem und Eigenem zu dieser schö-
nen Tradition hinzukommt. Mag man in der
Winternitz-Büste mehr von malerisch impres-
sionistischem Leben, in der des Frl. Menzel
mehr von naturalistischer Zartheit und anmu-
tiger, liebenswürdiger, ja süßer Grazie sprechen,
in allen Fällen ist das eigentlichste Kernproblem
der Bildhauerkunst, das der formalen Ausein-
andersetzung mit dem Raum und des Absetzens
von ihm, mit durchaus eigenen Mitteln gelöst.
Daß der Künstler darum gerungen hat, seiner
persönlichen Auffassung gemäß seinen Schöp-
fungen ein Mehr an individuellem Leben und
an Bewegung mitzugeben, wird klar. So wird
seine Auseinandersetzung mit den Formproble-

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