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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 40.1924-1925

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Beringer, Joseph August: Hans Thoma
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https://doi.org/10.11588/diglit.14152#0137

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HANS THOMA f

Jetzt, da der Meideh und Künftler Hans
Thoma am 7. November 1924 durch einen
fanften Tod, nach einer kaum ein Jahr dauern-
den künftleri leben Untätigkeit, von uns gefchie-
dcn Lft darf man einen überprüfenden Blick auf
Leben und Werk des volle 85 Jahre alt gewor-
denen Meifters werfen.

Die künftlcrifche Stellung Thomas fteht feft, fo-
wohl der Vergangenheit, wie der Gegenwart
gegenüber. \^ ir wiffen, und die großen Aus-
heilungen der letzten Jalire im In- und Ausland
haben es bewiefen, daß in Tbomas Werk picht
etwa nur eine ZufammenfaJTüng der roman-
tirchen oder der lieuidealiftifchenKuuft gegeben
ift, daß er nicht etwa nur ein Brefchenbrecher
für die Zukunft war, vor dem die vermeintlicb
zukünftigen Künftler „iiiElirfurcht fich neigen"
konnten, daß ernicht etwa ein Führer der gegen-
wärtigen K1111R fein durfte, wir wiflen vielmehr,
daß lieh in Thoma und feinem Werk etwas
ganz Perlonliches, Eigenartiges, Einziges offen-
barte, das in kein Schlagwort, in keinen Begriff
eingefangen werden kann. Er hat in leiner
Kindt und in feinem literarifcben \\ erk über
die ungewöhnliche Perlonlichkeitsleiftung hinaus
ältefte Kunftfcbätze neu ergraben und den fern-
ften Zeiten als unvergängliches Kleinod deut-
fchen Wefens in koftbarer Fällung hingeftellt:
Höebfte Elbik im Künßlerifchen und im
Menfchlichen, Etliik, die das Zeilliche ins reli-
giös Ewige verwebt.

In dielem Punkt gipfelt das Lehenswerk Thomas
über das Y\ eltanfchauliche der Kimft hinaus
und fpitzt lieh zum fitthehen Imperativ des
Lebens empor. Dieter aus dem Gehalten und
Schallen hervorgebende fitlliche Imperativ, der
des Nächften Verpflichtungen aus der eigenen
und perfönlichen \ erpfliebtetheit berausliolt
und als Gefetz für alle hinftellt, ift ein gar
Großes und Neues gerade in unterer Zeit, die
von ethifchen Impulfen nichts mehr wißen
will, von welcher Seite he auch kommen mögen,
und die alles auf das Zweckmäßige imd Stoff-
liehe einheilt.

Infofern war Thoma in aller feiner Harmlofig-
keit und Unbefangenheit ein Neuerer gegenüber
der Kimft, die in der Zeit feines ^ erdens Gel-
tung zu gewinnen begann. Nichts lag Thoma je
und je ferner, denn als ein Revolutionär aufzu-

treten, fo fehr ihm auch zu gewiffen Zeiten und
namentlich nach feiner kurzen Begegnung mit
Courbet(i868), das SpziahfhTche feiner Malerei
von feiten der überakademifchen Kimftkritik
unterftellt wurde.

Aus der beglückenden Durchdrmgung von
reinem Wirküchkeitsfinn und llärkftem Liebes-
gefühl, aus der Sinnlichkeit und Uberfinnlich-
keit im harmonifch ausgeglichenen Incinander-
wirken von naiver Naturanfchauimg und per-
fönheh gearteter Befeelung der 70er Jahre quoll
für Thoma eine ungeheuere Schaffensluft imd
Geftallungskraft, die fein Schaffen ins Unge-
meine fteigerle, in der Hervorbrhigung, wie
auch der färbe nach. \\ ie fclbftwüchfig imd
eigenftändig Thoma fchon in diefer Zeit war,
geht aus der Tatfachc hervor, daß er fich in
diefen Jahren frei hielt cbenfo vom Einlluß des
damals in der Malerei „maßgebenden Piloty",
wie des bei den „Zukünftigen" fich geltend
machenden Leibi. In München beginnt er, die
Naturemdrücke als feelifche Weltfprache zu
empfinden imd mit feiner eigenwücldigen tech-
nifchen Gefchicklichkeit zu geftalten. Es ift
falfch, die flüchtigen Parifer Eindrücke des
dreißigjährigen Mannes, der fchon zehn Jahre
vorher als ein in fich fertiger und Gefchloflener
auf die Kunftl'chule gekommen war, als wan-
delnd oder gar maßgebend für Thoma fefiftellen
zu wollen. An dem angeborenen und früh ferti-
gen Charakter feines eigentümlichen \> efens
hat nie etwas oder irgendwer ändern können,
wie Thoma auch nie einer ,A ereinigung", einer
„GefeUfchaft", einem „Bund", einer „Koterie"
beigetreten ift oder angehört hat.
Diefe feftigkeit in fich hat Thoma auch durch
die umfriedeten dreiundzwanzig Jalire der
frankfurter Zeit getragen. In der bewegten
Schaffensftille feiner familie, in der es ihm
endlich möglich war, das heiß Erfehnte: „auch
einmal etwas für die Muller und Schweiler zu
tun," zu erfüllen, entftand der Grundftock für
feine fpäter einfetzende Anerkennung. Diefe
Zeit ift es auch, in der Thoma aus feiner lieh
endlich fieher geftaltenden Lebenslage heraus
allen Y erkenmmgen und Anfeindungen mit dem
zugleich eigenfinnigen und ftolzen Wort begeg-
nen konnte: „Diefe Leinwände habe ich be-
zahlt; fie kann ich bemalen, wie ich will." Er

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