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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 40.1924-1925

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Wolf, Georg Jacob: Münchner Kunstausstellungen im Sommer 1925
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https://doi.org/10.11588/diglit.14152#0357

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MÜNCHNER KUNSTAUSSTELLUNGEN IM SOMMER 1925

DER GLASPALAST

Das Bestreben ist auf beiden Seiten des glä-
sernen Hauses offenbar, nicht allein durch
die Qualität der Einzelleistung, sondern ebenso
durch organisatorische Maßnahmen das Niveau
der Ausstellung zu heben und in allem ein bun-
tes Bild zu bewirken, das eine möglichst große
Mannigfaltigkeit und, den Ausstellungen der
Vorjahre gegenüber, eine deutlich erkennbare
Abwechslung bedeutet. Not macht erfinderisch.
Die deutsche Kunst ist in Not: nicht nur wirt-
schaftlich, sondern auch in ihren Entwicklungs-
momenten, so daß es oft den Anschein erweckt,
als wisse niemand mehr, wo hinaus es denn
gehe, ob man sich Arkadien oder dem Bezirk
des nüchternsten Intellektualismus verschreiben
solle, — mögen daher wenigstens die künstleri-
schen Organisationen und Ausstellungsleitungen
diese „Not" in dem Sinne nutzbringend gestal-
ten, daß sie aufweisen, was solchem Zustande
entspringt, wie jeder einzelne versucht, sicli mit
ihm auseinanderzusetzen, und was bei diesen
Versuchen herauskommt. Geht eine Ausstel-
lung solchermaßen zu Werke, so kann sie des
allgemeinen Interesses nicht entraten. Mag es
auch vielleicht nur ein wehmütiges, mit sehr
viel Resignation und Elegie durchsetztes Inter-
esse sein. Es ist eben in der deutschen Kunst
jetzt auch nicht die Zeit des Kränzewindens und
des Jubilierens. Ein verarmtes Volk denkt zu-
erst an das Brot, ehe es nach dem goldenen
Becher der Kunst greift. Die Mäcenaten fehlen,
und die staatliche Kunstpflege bewegt sich —
zuweilen mehr als notwendig — innerhalb eng-
ster Schranken. Niemand sieht sich vor große
Aufgaben gestellt. Der „neue Luxus", der an
der Herrschaft ist bei Menschen, die heil aus
den großen Krisen des letzten Jahrzehnts her-
vorgingen, hat noch kein \ erhältnis zur bilden-
den Kunst gewinnen können: Pracht und Kunst
werden da immerzu verwechselt. Wer aber,
die ganze „Konjunktur'' gründlich verachtend,
wie es sich für einen echten, aus der Tiefe seiner
Persönlichkeit schaffenden Künstler geziemt,
malt oder meißelt, wie es ihm die Stunde und

das Ingenium eingibt, der darf sicher sein, daß
er unter die Räder kommt. Das wissen die mei-
sten, und deshalb ist bei so vielen Bildern, die
man in diesem Jahre nicht allein auf Münchner
Ausstellungen sieht, hinter der Epidermis die
nervöse Angst, die Verkrampftheit, die Sucht
zu gefallen, wahrnehmbar. Wer in Bildern und
Plastiken zu lesen versteht, der kann aus ihnen
das Schicksal, das das ganze V olk bedrückt und
besonders schwer auf den Künstlern lastet,
herausfühlen.

Solche allgemeinen, über das Einzelwerk und
über die einzelne Ausstellung hinauswachsenden
EmpfindungenundErkenntnisse bewegen einen,
wenn man durch eine Riesenschau von Kunst-
werken, wie sie auch hier wieder zusammen-
kam, seinen Lauf nimmt. Es sind mehr als
dreitausend Arbeiten beisammen, und man darf
nicht vergessen, daß dies in der Tat nur ein
kleiner Bruchteil dessen ist, was den Juroren
der Vereine und Gruppen vorlag, ganz davon
zu schweigen,was tatsächlich produziert wird —
und dies nur in einer einzigen Stadt wie Mimchen
und in ihrem Ausstrahlungskreis! Denn im
großen und ganzen — mit Ausnahme des Gast-
spiels der Berliner Secessionsleute bei der Münch-
ner Secession — ist es nur die Produktion Mün-
chens und Bayerns, die gezeigt wird.
Es läge nahe, zu glauben, daß unter diesen Um-
ständen eine richtig auf den Verkauf berechnete
Ausstellung zustandegekommen sei. Aber es ist
nicht so. Man sah ein. daß Ausstellungen dieser
„praktischen" Art im Grunde die unpraktisch-
sten sind. Man hält nichts von ihnen, der Ken-
ner, Sammler, Käufer wittert sogleich die Ab-
sicht und streikt. Es ist besser, eine Ausstellung
nur nach Qualitätsgesichtspunkten zu veran-
stalten. Ich darf es der Glaspalast-Ausstellung
1925 bestätigen, daß sie im wesentlichen unter
diesem Gesichtspunkt sich aufbaute. Wenn
trotzdem nicht alles gut ist, wenn der Eindruck
einer gewissen Unfröhlichkeit und Bedrängt-
heit vorschlägt, so hat dies in den vorher ge
nannten, die deutsche Kunst in ihrer Gesamt-
heit betreffenden Momenten seinen Grund.
Die Münchner Künstlergenossenschaft suchte

Die Kunst für Alle. XXXX. u. — August 1935

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