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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 10.1899

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Fuchs, Georg: Deutsche Kunst und Dekoration neuen Stiles, [2]
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Seite 52. Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration. März-Heft.

ganz andere, neue, vollkommen moderne. In entsprechender

arbeiten. Denn die Xöthwendigkeiten des thätigen Lebens

Weise griff er für die Architektur, deren er zur Raumein- ! erzwingen sich den neuen Stil, denn sie sind anderer Art,
theilung in grossem Verhältnisse bedurfte, den Entwickelungs- als die Nothwendigkeiten, unter denen die früheren oder
Höhepunkt in der heimathlichen Tradition heraus: die Gothik. fremdländischen Stile entstanden. Es kommt nur darauf an,
Allein er ahmte die Formen der Alten nicht nach, sondern dass die Begabten sich dem Zwange dieser Nothwendigkeiten
verlieh ihnen durch neue Verwendung und organische Um- nicht entziehen. Wie wirksam aber diese Nothwendigkeiten

deutung einen ganz neuen Sinn.

Seine Hauptthätigkeit ist die Glasmalerei. Er verwendet
ausschliesslich Antik-Glas und leitet persönlich den Brand
der von ihm bemalten Stücke. Er hat besonders in der Glas-
malerei einen gewaltig wirkenden, innigen und prächtigen
Karakter erreicht, der sich aber in allen seinen Werken kund
gibt, in denen er die Farbe zur tonangebenden Macht erhob.
Er hat mit Bewusstsein die koloristischen Errungenschaften
der neuzeitlichen Malerei und des Grossmeisters derselben,
Arnold Böcklin's, in die angewandte Kunst eingeführt.

Der grösste Auftrag, den Melchior Lechter bis jetzt aus-
geführt hat, sind die wunderbaren Fenster im. romanischen
Hause zu Berlin, welches auf Anregung Sr. M. des Kaisers
als Hintergrunds - Abschluss für die Kaiser Wilhelms-
Gedächtniss-Kirche errichtet wurde.

Das Beispiel Melchior Lechter's lehrt uns aber auch, dass
der moderne Stil nicht etwa als ein ganz Neues und Unver-
mitteltes vom Himmel gefallen ist, oder etwa sein Dasein
nur den Geniestreichen junger, unbändiger Feuerköpfe ver-
danke. Im Gegentheil: je reifer und gesünder er vor uns
tritt, je mehr trägt er auch von den Errungenschaften der
vaterländischen Tradition in sich. Dieser neue Stil wäre,
wenn auch viel später, entstanden, ohne dass wir durch das
Ausland angetrieben worden wären, absichtlich darauf hin zu

für die Stilbildung sind, zumeist ganz unvermerkt, das sehen
wir fast tagtäglich in der Baukunst.

Nicht selten will der Architekt ein Gebäude ausdrücklich
im strengsten Karakter eines alten Stiles durchführen. Er
entwirft nach berühmten Mustern. Sobald es jedoch zur
praktischen Ausführung kommt, machen sich tausend Dinge
geltend, mit welchen man in der Zeit, da die ehrwürdigen
Muster entstanden, nicht zu rechnen hatte: Eisen-Konstruk-
tionen, elektrische und Geleise-Anlagen, Schaufenster, Fahr-
stühle u. s. w. Der stilgerechte, altmeisterliehe Entwurf lässt
sich dagegen nicht durchsetzen.

Was geschieht? Sehr oft weiter nichts, als dass der
Architekt, der es für eine Todsünde hält, die mustergültige
Renaissance anzutasten, die Fassade ohne Rücksicht auf Zweck
und Struktur des Hauses als Kulisse davorstellt. Er verleugnet
die Konstruktion, er verleugnet den Zweck, er verleugnet
das Leben. So entstehen jene Paläste, in denen man Kavaliere
und Edelfrauen in Sammt und Brokat und lautenspielende
Pagen vermuthet, während darinnen thatsächlich vielleicht
mit Margarine gehandelt wird.

In den meisten Fällen entschliesst sich der Architekt im
Interesse der Brauchbarkeit, in vielen Stücken von Dem ab-
zuweichen , was ihm die alte Stil-Vorlage vorschreibt. Und
nun kommt es nur noch auf ihn an. (Schiuss folgt.)



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Abbildung Nr. 1048. Grundriss zu dem mit dem I. Preise gekrönten Entwürfe von WILHELM MICHAEL—MÜNCHEN.
 
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